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Inhalt:
2. Rennen der Saison '92
Der Große Preis von Mexiko auf dem Autódromo Hermanos
Rodríguez in Mexiko-Stadt
22. März 1992
Sieben Rennen hatte Michael bis zu diesem Zeitpunkt in der
Formel 1 schon bestritte. Kam er ins Ziel so lag er am Ende auch in den Punkten.
Sein bestes Ergebnis fuhr er ein Rennen zuvor beim Saisonauftakt in Kyalami/Südafrika
ein, Platz vier. „In diesem Jahr möchte
ich versuchen, so viele Rennen wie möglich zu beenden und wenn ich dabei auch
noch punkten kann, ist das noch besser“, lautete Michaels erklärtes Ziel für die
Saison. In der Qualifikation war sein bis dahin bester Startplatz der 5. Platz (1991
beim GP von Spanien).
In Mexico wurde er mit Startplatz 3 belohnt, nachdem er
seinen Benetton im Training mit viel Gefühl hervorragend auf die Tücken der
buckligen Piste abgestimmt hatte. Das Rennen selber begann mit einem relativ
verschlafenen Start bei dem er auf Platz 6 zurückfiel. Doch danach war er
wieder hellwach und zwängte sich schon in der ersten Kurve wieder an Gerhard
Berger vorbei. „Der Junge hat einfach ein großes Talent zum Schnellfahren“,
sagte Berger nach dem Rennen. „Wo andere in einem rutschigen Auto vom Gas
gehen, bleibt er drauf.“ Nach diesem harten, aber fairen Überholmanöver
überholte er auch noch Martin Brundle, seinen Teamkollegen. Nun war sein
nächster Gegner Ayrton Senna, an dessen Fersen er sich zwölf Runden lang
heftete. Als der McLaren des Brasilianers wegen einer defekten Kraftübertragung
ausrollte, war Michael schon etwas enttäuscht. „Schade“, schmunzelte er, „dass
er mir nicht die Möglichkeit gegeben hat, ihn zu überholen.“
Doch die Williams von Nigel Mansell und Ricardo Patrese an
der Spitze zu überholen, daran war, obwohl Michael ein perfektes Rennen fuhr,
nicht zu denken. In der Höhenluft von Mexico City machte er keinen Fehler und
schaffte als Dritter erstmals den Sprung aufs Treppchen, was seit Jochen Mass
1977 in Kanada keinem Deutschen mehr gelungen war. „Das ist der schönste Tag in
meinem Leben“, freute er sich. „Ein Traum hat sich erfüllt, ich kann es noch
gar nicht fassen.“
Quellen: FIA Saison Review 1992 und Claus-Peter Andorka "Michael Schumacher", aktualisierte Ausgabe 2000.
4. Rennen der Saison '92
Der Große Preis von Spanien auf dem Circuit de Catalunya in Barcelona
3. Mai 1992
In Barcelona rückte Michael erstmals in der Saison mit dem
neuen Benetton-Ford 192 aus. Spitzname: Der gelbe Hai. Damit zeigte er schon im
Training seinen Konkurrenten die Zähne und sicherte sich erstmals in seiner
Kariere neben Nigel Mansell einen Platz in der ersten Startreihe. „Das neue Auto
ist ein Volltreffer“, lobte er die Arbeit seiner Benetton Techniker, „trotzdem
sollte man jetzt nicht in allzu große Euphorie verfallen und annehmen, dass wir
die Williams schon schlagen können. Wenn wir weiterhin dritte Plätze erreichen,
können wir wirklich zufrieden sein.“
Eine Schrecksekunde gab es jedoch vorher im Freitagstraining, bei der er eines der neuen Autos an einer Mauer in seine
Einzelteile zerlegte. „Es war mein Fehler. Mein Hinterreifen hatte schon Blasen
geworfen, ich dachte, noch eine Runde, dann fahre ich an die Box.“ Es war eine
Runde zu viel. Das Auto war im Eimer, doch ihm war zum Glück nichts passiert.
Wie schon in Mexico war sein Start in ein diesmal feuchtes
Rennen keiner seiner besten. Er fiel von zwei auf Position vier zurück. In der
7. Runde jedoch knöpfte er sich erst Jean Alesi vor und verschaffte sich dann
nach hinten Luft in dem er sich nach und nach von Ayrton Senna abseilte. Dabei
war er pro Runde fast eine Sekunde schneller als der Weltmeister aus Brasilien.
Als dann noch Riccardo Patrese mit seinem Williams in der 20. Runde von der Strecke
kreiselte, war Michael schon zweiter.
Der Regen wurde mit der Zeit immer stärker und Michael
ebenfalls. In der 42. Runde lag er mit seinem Benetton 12,8 Sekunden hinter
Nigel Mansell, in der 49. Runde waren es nur noch 4,8 Sekunden. „Ich fuhr so
hart, wie’s ging. Ich hatte mich darauf konzentriert, mir Senna vom Leibe zu
halten, doch plötzlich kam ich Mansell immer näher. Ich war sicher, der hatte
ein Problem“, schilderte er seine tolle Aufholjagt auf der regennassen Piste.
Mansell hingegen kam mächtig ins Schwitzen, denn das einzige Problem was er an
diesem Tag hatte, war Michael. „Ich dachte, mein Gott, du musst jetzt langsam
was unternehmen, der Junge kommt immer näher“, erzählte Mansell in der
Pressekonferenz nach dem Rennen. „Ich fuhr noch härter, aber in der nächsten
Runde hatte er mir weitere zwei Sekunden abgeknöpft. Dieser Hundesohn, wie
macht er das?“ Im Ziel lief Michael dann aber doch mit einem Sicherheitsabstand
von knapp 24 Sekunden hinter Mansell auf Platz zwei ein. Eine weitere Stufe auf
der Erfolgsleiter war erklommen.
Quellen: FIA Saison Review 1992 und Claus-Peter Andorka "Michael Schumacher", aktualisierte Ausgabe 2000.
12. Rennen der Saison '92
Der Große Preis von Belgien auf dem Circuit deSpa-Francorchamps
30. August 1992
Auf Barcelona folgten noch 2 weitere Podestplätze, ein 2.
Platz in Kanada und ein 3. Platz bei seinem ersten Heimrennen in Hockenheim,
umjubelt von abertausenden deutschen Formel 1 Fans. Doch es sollte 1992 noch besser kommen.
Etwas über ein Jahr war es nun her, dass Michael zum ersten
Mal in ein Formel 1 Rennen gestartet war. Damals kam er in Spa über 500 Meter jedoch
nicht hinaus. Diesmal sollte alles ganz anders werden. Im ersten
Qualifikationstraining stellte er seinen Benetton, obwohl er mit kalten Reifen
einmal von der Piste rutschte, auf den dritten Startplatz. Im Regen am Samstagmorgen
war er sogar schnellster. Ein gutes Omen für Sonntag, denn am Himmel über Spa
zogen Stunden vor dem Rennen dunkle Wolken auf. „Da schoss es mir plötzlich
durch den Kopf: Heute kannst du gewinnen“, erzählte Michael dem Journalisten
Mathias Brunner, und als dieser ihn fragte, ob er denn zum ersten Mal an einen
Formel 1 Sieg glaubte, grinste Michael verlegen: „Nöö, dieses Gefühl hatte ich
schon in Ungarn. Aber dort kam es ja etwas anders.“ In Ungarn war er ein Rennen
zuvor spektakulär von der Strecke geflogen, nachdem sein Heckflügel sich
verabschiedet hatte. Und das ausgerechnet als seine Eltern das erste Mal Live
an der Strecke ein Rennen verfolgt hatten.
Doch in Spa hatte ihn sein Gefühl diesmal nicht getäuscht. Auch
wenn der Weg zum Sieg in Runde 30 um ein Haar schon zu Ende gewesen wäre…
Auch am Start lief wieder nicht alles glatt. Er konnte
seinen 3. Platz nicht verteidigen und rutschte zwei Plätze nach hinten, von denen
er sich einen gegenüber Alesi jedoch recht schnell wieder holen konnte. Im
Verlaufe des Rennens wurde die Strecke immer nasser und die Fahrer mussten auf
Regenreifen umrüsten. Die Reihenfolge nach den Stopps lautete: Senna, Patrese,
Mansell und Michael auf vier. Senna war in diesem Quartett der einzige noch auf
Slicks. Er pokerte und wollte sich einen Stopp sparen. Doch sein Plan ging nicht auf und sowohl die beiden Williams als auch Michael und Brundle gingen an ihm vorbei.
Die Strecke trocknete langsam wieder ab und Michael hatte
alle Hände voll damit zu tun sich Martin Brundle, seinen Teamkollegen, vom
Leibe zu halten der drängelnd hinter ihm herfuhr. Und weil auch noch zusätzlich
ständig sein Visier im Nieselregen beschlug war er einen Augenblick lang in
Runde 30 vor Stavelot abgelenkt und rutschte über die Randsteine aufs Gras, wo
er sein Auto mit viel Glück kurz vor den Reifenstapeln wieder unter Kontrolle
hatte. Den Platz gegen Brundle hatte er allerdings verloren. „Das war der
einzige Fehler“, ärgerte er sich, „den ich im ganzen Rennen gemacht habe.“ Ein
Fehler der ihm jedoch den Sieg bringen sollte. Denn im Windschatten konnte
Michael beobachten wie die Reifen von Brundle, der wie alle anderen immer noch
auf Regenreifen unterwegs war, obwohl die Strecke immer trockener wurde,
gewaltige Blasen warfen. Da sie zuvor in etwa das gleiche Tempo gefahren waren,
dachte er sich, dass seine Reifen sicher nicht viel anders aussehen und meldete
sich unverzüglich an der Box zum Reifenwechsel an. Genau zum richtigen
Zeitpunkt. Als die Williams-Piloten viel zu spät durch ein internes
Missverständnis, jeder dachte vom anderen er würde an die Box fahren, endlich
die Reifen wechselten, fuhr Michael auf der trockenen Ideallinie mit Slicks schon
lange die schnellsten Rundenzeiten. „Es war unheimlich“, gab er später zu
Protokoll, „das Auto wurde immer schneller.“ Dass er Erster war hatte er dabei
gar nicht gleich mitbekommen, weil er sein Boxenschild nicht erkennen konnte.
„Erst nach ein paar Runden sah ich endlich das „P1“ und dachte: uuups.“ Diesen
Platz gab er bis ins Ziel nicht mehr her. In seinem 18. Rennen stand er somit
das erste Mal auf dem höchsten Treppchen.
Was ging ihm in den letzten Runden durch den Kopf? „Große Nervosität kam eigentlich nicht auf. Weder um die Technik noch vor einem fahrerischen Flüchtigkeitsfehler. Ich habe mich selbst ein bisschen gewundert. Aber langsam
begann ich daran zu glauben, dass es klappen könnte. Aber so richtig fassen
kann ich es jetzt noch nicht“, so Michael. „Das Schöne an diesem Sieg ist,
keiner hat ihn mir geschenkt, die Williams sind nicht vor mir ausgefallen und
auch der Senna nicht.“ Und auch in sein Gefühlsleben gab Michael damals einen
Einblick: „Es ist total verrückt. Natürlich freu ich mich, aber Freude ist ein
Wort, das meinen Gefühlen in diesem Augenblick nicht gerecht wird. Ich spüre
Herzklopfen, Lachen, Tränen – alles auf einmal. Ich weiß nicht, wann ich zum
letzten Mal geheult habe. Aber heute sind mir in der Auslaufrunde die Tränen
nur so runtergelaufen. Ich bin total happy.“ Gewidmet hat er seinen Sieg den
deutschen Fans, die so lange auf den Sieg eines deutschen warten mussten.
Die Saison 1992 beendete Michael in der Gesamtwertung auf Rang 3. Nur vier Mal schied er vorzeitig aus einem Rennen aus und fuhr sonst, bis auf Portugal (7.), immer in die Punkte.
Dabei erreichte er mit 8 Podestplätzen (1x1/3x2/4x3) ganz souverän sein am Anfang der
Saison gestecktes Ziel.
Quellen: FIA Saison Review 1992 und Claus-Peter Andorka "Michael Schumacher", aktualisierte Ausgabe 2000.
14. Rennen der Saison '93
Der Große Preis von Portugal auf dem Circuito do Estoril in Lissabon
26. September 1993
Auch wenn Michael im WM-Endklassement letztlich um einen
Rang abrutschte, überzeugte er 1993 erneut durch glänzende Vorstellungen: Wenn
Michael das Ziel erreichen konnte, so durfte er auch an der Siegerehrung
teilnehmen. So wurde er zum Beispiel 2. in Hockenheim und Belgien.
Doch der Höhepunkt der Saison war für Michael zweifelsohne
der GP von Portugal. Auch wenn am Freitag und Samstag noch so Überhauptnichts
dafür sprach.
Im freien Training am Freitagmorgen wurde Michael nur Fünfter.
Er hatte keinen Grip, das Handling war schlecht und eine Reihe von Drehern war
die Folge. Doch was noch schlimmer war: Die Techniker wussten nicht woran es lag.
Sein Teamkollegen für diese Saison, Riccardo Patrese, landete auf Platz 6.
Das erste Qualifikationstraining verlief vom Ergebnis her
nicht besser für Michael, wieder war er nur Fünfter. Am Samstag rutschte er
sogar noch einen Platz nach hinten. „In diesem Auto steckt der Wurm“, meinte er
resignierend, „wir sind kaum schneller als bei den Tests vor Saisonbeginn“.
Seit Freitag hatte er sich bereits fünfmal gedreht, weil er die Grenzen des
Autos überschritt, um die gewohnte Platzierung zu erzwingen. Samstagabend verbrachte
er dann auch bis 23 Uhr in der Benetton Box, um mitzuhelfen, den Problemen auf
die Spur zu kommen. Aber Michaels Benetton gab seine Geheimnisse nicht preis.
Im Warm Up wurde Michael
sogar nur Zwölfter. Doch seine Stimmung hatte sich merklich verbessert. „Ich
fuhr das T-car“, erklärte er, „und das ist wesentlich besser als mein eigentlicher
Einsatzwagen.“ Auf die Frage von Achim Schlang (F1-Berichterstatter), ob er
über Platz Zwölf nicht enttäuscht sei, antwortete er: „Zuviel Verkehr – ich fand
keine freie Runde. Verlass dich drauf, das Auto ist schnell. Schade, dass ich
am Start so weit hinten stehe…“
Am Start übernahm der von Platz Fünf kommende Jean Alesi die
Führung, gefolgt von Häkkinen, Senna, Prost und Michael. Polesetter Damon Hill
blieb schon am Vorstart stehen und musste sich ganz hinten einreihen. An der
Reihenfolge der ersten Fünf sollte sich bis zu Sennas Ausfall in Runde 20
nichts ändern. Doch innerhalb der folgenden knapp 13 Minuten geriet die
Reihenfolge an der Spitze völlig durcheinander. Die Boxenstopps standen an.
Nach 20 Runden holten sich Alesi und Häkkinen als erste der Frontrunner neue
Reifen. Michael – „ich hing hinter Prost fest, obwohl ich in einigen
Streckenabschnitten schneller als er fahren konnte. Also machten wir einen
frühen Stopp, um gegebenenfalls einen weiteren Halt einlegen zu können“ – fuhr eine
Runde danach an seine Box. Erst acht Umläufe später kam Prost
zum Reifenwechsel, als vorletzter der Spitzenfahrer, unmittelbar darauf Hill.
Nun komplett frisch Bereift hieß die Hackordnung vorne: Michael, Prost, Alesi,
Häkkinen und Hill. Unerwartet in Führung liegend, dachte Michael natürlich
nicht mehr an einen weiteren Reifenwechsel: „Jetzt ging es darum, diesen Platz
mit aller Kraft zu verteidigen.“
Als Michael am Ende der 30. Runde über Start und Ziel fuhr
betrug sein Abstand auf Alain Prost 3,7 Sekunden. Zehn Runden später waren es
sogar 7,4 Sekunden. Das Bild war allerdings leicht verzehrt durch wechselndes
Glück beim Überrunden.
Doch ab Runde 45 wurde es für Michael richtig ungemütlich.
JJ Lehto stand zur Überrundung an, ließ Michael aber nicht vorbei. Er glaubte,
der hinter ihm liegende Patrese übe Druck auf ihn aus und wehrte sich mit Händen
und Füßen. Erst in Runde 50. kam Michael endlich vorbei, doch sein Vorsprung
war aufgebraucht. Formatfüllend konnte er Prost in seinem Rückspiegel sehen.
Immer noch waren 21 Runden zu fahren und Michael hatte
gegenüber Prost auf den Geraden einen PS Nachteil. Aber Prost, dem zum
Titelgewinn ein zweiter Platz ausreichte, zog nicht alle Register. Das eine
Mal, wo dieser ernsthaft attackierte blockte Michael ab und Prost steckte
zurück.
Stunden nach dem Rennen konnte Michael immer noch nicht so
recht glauben, was passiert war: „Hier hätte ich am allerwenigsten damit
gerechnet, weil im Training alles schief gelaufen war. Aber dann nehm‘ ich das
Ersatzauto – und das Wunder passierte. Ich bin fassungslos, sprachlos vor
Glück. Nie im Traum hätte ich an einen Sieg geglaubt.“
Etwas später wurde er gefragt welcher Sieg
der schönere war, Spa '92 oder Estoril '93? „Das Portugal Video habe ich erst
einmal gesehen, in halbtrunkenen Zustand, mit 20 Telefonanrufen dazwischen. Ich
hatte noch kaum Zeit, das Video wirklich zu studieren oder nachzudenken.
Wahrscheinlich ist der erste Sieg immer der schönste, aber ich hab‘ ja noch
nicht so viele gewonnen: Der erste Sieg war etwas ganz Tolles, der zweite toll
auf die Art, wie ich ihn erreicht hab‘.“
Quellen: FIA Saison Review 1993. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Heinz Prüller „Michael Schumacher –
Wunderkind und Weltmeister“, 1994.
5. Rennen der Saison '94
Der Große Preis von Spanien auf dem Circuit de Catalunya in Barcelona
29. Mai 1994
Es war das zweite Rennen nach Imola und noch immer waren
dessen Auswirkungen zu spüren. Man kämpfte an verschiedenen Fronten. Die neu gegründete GPDA,
wo auch Michael einer der Redeführer war, kämpfte um die Sicherheit an der
Strecke: Zusagen wurden nicht eingehalten, Gefahrenstellen nicht entschärft.
Der erste Fahrerstreik seit Kyalami 1982 drohte. Ergebnis der
Auseinandersetzung war eine temporäre Schikane (zwei Reifenwände)
in der Nissan Kurve.
Parallel lief die Abrüstung der Autos, denn die FIA hatte
nach dem Katastrophen Monat Mai mal eben so die Regeln geändert. Allerdings ohne Absprache mit den Teams. Ohne
Windkanalversuche konnten die Techniker aber die neue Aerodynamik nicht
erforschen. Vor dem GP von Spanien brachen die umkonstruierten Wagen immer
wieder aus. Was wiederum zu Temperamentsausbrüchen in den Rennställen führte.
Ein Streik im ersten Training, Michael fuhr keinen Meter, war die Folge. Auch
20 andere Piloten blieben in ihren Boxen. Gerade Flavio Briatore, soll
sich in dieser Phase zu stark mit der FIA angelegt haben. Benetton drohte
kurzfristig sogar der Ausschluss. Später in der Saison sollten diese Querelen
noch mal eine Rolle spielen.
Im 1. Qualifikationstraining fuhren aber alle wieder. Michael eroberte souverän
Platz 1, mit über einer Sekunde Vorsprung auf den zweiten Mika Häkkinen. Der Samstag
kannte auch nur einen Fahrer an der Spitze. Sowohl im Training als auch in der
2. Qualifikation (0,6 Sekunden) führte Michael die Zeitentabelle an.
Die Führung nach dem Start behielt Michael vor Hill, Häkkinen,
Alesi, Lehto, Berger und Coulthard. Von Runde zu Runde wurde der Vorsprung auf Hill größer. „Es sah alles nach einem leichten Sieg aus.“ Bis zur 22. Runde. „Das Auto hat am Anfang perfekt
gearbeitet aber dann wollte ich in die anderen Gänge schalten und es ging
nicht.“ Er musste einen Notruf an die Box absetzen: „Gearbox Problem, ich
steck‘ im 5. Gang.“ Sein Renningenieur, Pat Symmonds, sauste hinter die Box,
analysierte das Problem anhand der Telemetrie, funkte dann zurück: „Ich weiß,
was los ist, kann dir aber nicht helfen. Fahr weiter, mach ein paar Punkte für
die WM.“ Leichter gesagt als getan, denn Michael musste noch zu seinem Boxenstopp.
Und das im 5. Gang! Der Benetton-Ford machte Rennstarts mit 12.000 U/min, drehte
bis knapp unter 15.000 U/min, aber in Barcelona fuhr Michael mit 14.000 U/min
aus der Box und schaffte es „sehr sehr sanft, mit sehr viel Kupplung und viel
Drehzahl“, dass der Motor nicht abstarb.
Hill hatte in der Zwischenzeit die Spitze übernehmen können
und führte das Feld vor Michael, Häkkinen und Mark Blundell an.
Die ersten Runden nach seinem Boxenstopp war er noch
langsam, aber dann sausten die Rundenzeiten nach unten. Michael erinnerte sich
an die Gruppe C, wie er damals fahren musste, um Sprit zu sparen. Seine
schnellste Rennrunde: nur eine Sekunde langsamer als vor dem Getriebeschaden! „Hat mich selbst überrascht. Aber meine Gruppe-C-Erfahrung
hat mir sehr geholfen, meinen Fahrstil umzustellen, meine Linie zu ändern – es gibt
da gewisse Möglichkeiten: wenig bremsen, immer mit Power-Überschuss fahren, das
Auto fliegen lassen – wie in der Formel III mit ihren 180 PS. Ich hab‘ so meine
Geheimnisse. Aber mehr mag ich darauf nicht eingehen.“
Michael konnte den zweiten Rang retten, auch weil sich sein
ärgster Verfolger, Häkkinen, in Rauch auflöste. Mit nur 24 Sekunden Abstand auf
Damon Hill durfte er sich im Ziel dann auch wie ein Sieger fühlen. „Ehrlich
gesagt habe ich nie damit gerechnet, doch noch ins Ziel zu kommen.“
Der Kampf gegen Damon Hill und die FIA hatte begonnen…
Quellen: FIA Saison Review 1994. Heinz Prüller „Michael Schumacher –
Wunderkind und Weltmeister“, 1994. Claus-Peter Andorka "Michael Schumacher", aktualisierte Ausgabe 2000.
11. Rennen der Saison '95
Der Große Preis von Belgien auf dem Circuit deSpa-Francorchamps
27. August 1995
1994 war der Titelkampf zwischen Damon Hill und Michael bis
zum dramatischen Finale in Australien offen geblieben. 1995 aber hatte der
Brite keine Chance. Weder mental, noch vom reinen Fahrkönnen her, war Hill in
der Lage, dem Titelverteidiger das Wasser zu reichen. Mitte der Saison fragte
man dann auch nicht mehr wer Weltmeister werden würde sondern nur noch wann
Michael seine Titelverteidigung feiern könnte.
Die Höhepunkte für Michael waren in diesem Jahr sicherlich
Hockenheim, Spa, Nürburgring und Aida.
In Hockenheim konnte er seinen ersten Heimsieg feiern. „Dieser
Sieg ist für mich fast so bedeutend wie mein Weltmeistertitel. Die Emotionen
sind im Moment sogar noch tiefer, hier, vor diesem Super-Publikum. Ich finde noch
keine Worte, das zu beschreiben. Es ist verrückt, hier zu Hause, es hat hier
noch nie einen deutschen Sieger gegeben. Es ist ein Traum, eigentlich kann man
so etwas nicht träumen, das ist Gänsehaut, da kommen einem die Tränen, das ist
wie auf Wolke sieben.“ Von seinen Fans wurde er im seit Monaten ausverkauften
Motodrom von Hockenheim überschwänglich gefeiert. „Normalerweise lauscht man gegen Ende des
Rennens aus Angst vor einem Defekt nur noch den Geräuschen seines Autos. Aber
in Hockenheim habe ich nur noch den Jubel der Fans und die unzähligen
Böllerschüsse gehört. Es war unglaublich.“ Den einzigen Fehler an diesem
wunderschönen Sonntag leistete Michael sich in der Ehrenrunde: „Ich wollte den
Fans zuwinken – und dabei habe ich den Motor abgewürgt.“ Ein Abschleppwagen zog
Michael und seinen Benetton dann um die Strecke.
Auch die Wochen zwischen Hockenheim und Spa waren von großer
Bedeutung für Michael. Er feierte seine Hochzeit mit Traumfrau Corinna und gab
6 Tage nach dem Ungarn Rennen bekannt, dass er für 1996 einen Vertrag bei
Ferrari unterschrieben hatte.
Doch bevor Michael seinen Dienst in Italien antreten konnte, musste er noch die
Pflichtübung erfüllen, den zweiten Weltmeistertitel für Benetton unter Dach und
Fach zu bringen.
Die nächste Station war Spa. Und dort feierte man die „Wiedergeburt“
des Streckenabschnittes Eau Rouge. Piloten und Zuschauer freuten sich
gleichermaßen darüber, dass die 1994 gefahrene Schikane spurlos verschwunden
war. Neue Auslaufzonen sorgten für mehr Sicherheit in diesem Streckenabschnitt.
Auf nasser Piste belegte Michael hinter Gerhard Berger noch Platz
zwei im 1. Qualifikationstraining. Doch am Morgen des zweiten Trainingstages
erlebte Michael ein böses Intermezzo. In den Schlussminuten des freien
Trainings krachte er frontal knapp unterhalb von Les Combres gegen die
Leitplanken, sein Auto drehte sich, schlug noch einmal mit dem Heck an, bevor es
sich dann weiter zurück auf die Strecke drehte. Die Telemetrie verriet ein
Einschlagstempo von 150 km/h! Michael hatte dabei noch wahnsinniges Glück, dass
er beim ersten Einschlag die letzten Reifenstapel noch erwischte, die die
Leitplanke polsterten. Trotz der Reifen reichte die Aufprallenergie, um
Michaels Sturzhelm einen Knacks zu verpassen… Michael nahm danach den
Zwischenfall voll auf seine Kappe. Er verlor den Benetton aus der Kontrolle,
weil er ihn zuvor versehentlich auf die Kerbs lenkte. Der Zwischenfall sollte
noch Folgen haben.
Während die Vorbereitungen für das Abschlusstraining auf
vollen Touren liefen, wanderten die Blicke der Piloten und Teamchefs immer
wieder Richtung Himmel. Die Bahn selber war noch trocken, aber über Stavelot
türmten sich dunkle Wolken auf, die von Minute zu Minute bedrohlicher wirkten. Bereits
fünf Minuten bevor der Ausgang der Boxengasse freigegeben wurde, postierten
sich die ersten Autos und warteten auf das „Go“. Jetzt oder nie hieß die
Devise, denn auf trockenem Asphalt ließen sich die Vortagszeiten mühelos
unterbieten.
Als die Piste freigegeben wurde rollten fast alle Boliden
hinaus auf die Bahn. Vermisst wurden allerdings die beiden Benetton. Michael
machte seiner Crew keine Vorwürfe: „Die reparieren noch mein Auto, und ich war ja
schließlich der Idiot, der es heute Morgen rauswarf.“ Sein Teamkollege fehlte,
weil sich das komplette Team schraubend auf den Wagen von Michael stürzte.
Wer nicht zu den Fahrern der ersten Minuten zählte, wurde
böse bestraft: Innerhalb von nur 6 Minuten wurde Michael vom zweiten auf den
17. Startplatz nach hinten durchgereicht! Inzwischen hatte auch der Regen
eingesetzt…
Eine halbe Stunde später begann die Strecke wieder abzutrocknen – bis auf Platz
neun kämpfte sich Michael wieder vor. Alles schien sich für ihn doch noch zum
Guten zu entwickeln, doch dann spielte sein Getriebe verrückt: Wenn er den
sechsten Gang einlegte, schaltete der Bordcomputer eigenmächtig in den fünften
zurück. Der Renault-V10 im Benetton betrat mit 19.000 U/min Neuland... Die
zuvor zurückeroberten Ränge gingen wieder verloren. Erst bei Platz 16 wurde der
freie Fall gestoppt. Seinem Rivalen Hill erging es nicht viel besser. Beim Versuch
sich von Rang acht nach ganz vorne zu fahren strandete er im Kies. Das Training
war für beide gelaufen.
Die Poleposition konnte sich Gerhard Berger vor Jean Alesi,
Mika Häkkinen und Michaels Teamkollege Johnny Herbert sichern.
Berger konnte seine Poleposition allerdings nicht nutzen und
fiel beim Start hinter Jean Alesi und Johnny Herbert zurück. Die Nase des
Irvine’schen Jordan berührte beim anbremsen in die erste Kurve David Coulthards
Williams am Heck und beschädigte eine Ölleitung, was noch Konsequenzen haben
sollte. Alesi und Herbert fighteten unterdessen die ersten Runden um die
Spitze, es ging hin und her. Mika Häkkinen fiel schon am Beginn der zweiten Runde
aus. In Runde vier war dann auch das Rennen für Alesi beendet, seine hintere
rechte Aufhängung hatte ihren Dienst eingestellt. Die Führung übernahm so
wieder Herbert. Hill lag nun schon auf Platz 3 und Michael hatte sich schon
fast in die Punkteränge vorgekämpft.
Lange konnte Herbert seine Führung allerdings nicht behalten,
denn unter dem Druck von Coulthard unterliefen im 2 Dreher die ihn auf Position
6 zurück warfen. Doch auch der nun führende Coulthard durfte sich nicht lange
über Platz 1 freuen, denn durch die beschädigte Ölleitung war für ihn in Runde
14 Schluss. Führungswechsel Nummer fünf brachte Hill an die Spitze. Der
Vizeweltmeister schien auf der Siegerstraße, denn 18,4 Sekunden Vorsprung auf
Berger, dem Michael mit nur zwei Zehntelsekunden Rückstand schon im Nacken sah’s,
waren ein komfortables Polster. Aber es sollte anders kommen. Die Boxenstopps
standen an, und weil Michael länger draußen blieb als die Beiden vor ihm,
übernahm er nach 16 Runden erstmals an diesem Tag die Führung. „Ich fühlte mich“,
sagte er später, „ans Go-Kart-Fahren erinnert. Da startete ich auch manchmal
von ganz hinten und musste mich durchs Feld kämpfen.“ Als auch er Sprit und
neue Reifen holen musste, fiel er auf Platz 2 hinter Hill zurück. Berger
spielte in diesem Kampf keine Rolle mehr, er kam wegen defektem Motor nicht mal
mehr ins Ziel.
Ab Runde 20 brachte sich ein anderer unberechenbarer Faktor
ins Spiel: Regen. Hill reagierte darauf zu vorschnell und ließ sich schon in
Runde 21 ein zweites Mal an seiner Box blicken um sich Regenreifen abzuholen.
Michael ging deshalb wieder in Führung.
Auf nun unterschiedlicher Bereifung, lieferten sich Michael und Hill ein wildes
Duell. Um den Briten hinter sich zu lassen zog Michael alle Register – dies
sollte ihm nach dem Rennen noch etwas Ärger einbringen. Trotz der Gegenwehr
fand Hill in Runde 24 einen Weg am Benetton vorbei, weil dieser auf der feuchten
Strecke kurz aufs Gras ausweichen musste. Kurz darauf hatte aber auch Hill
Probleme auf einem trockenen Streckenabschnitt wo seine Regenreifen ihre
Bodenhaftung verloren – Michael nutzt die Gunst der Sekunde und zog wieder an
dem rutschenden Williams vorbei.
Hill konnte den Anschluss an Michael nicht mehr halten und lies
sich zwei Runden später wieder Trockenreifen aufziehen. Eine halbe Minute
trennte die Beiden. Doch nun wurde das ganze etwas seltsam. Es hatte wieder
angefangen zu regnen und plötzlich wurde das Safety-Car auf die Strecke
geschickt. Der FIA Sicherheits-Chef Roland Bruynseraede sprach als Begründung von
„starkem Regen“ und schlechten Sichtverhältnissen. Das merkwürdige daran war,
dass nur er dieses Handicap wahrzunehmen schien. Mark Blundell verteidigte zwar
später die FIA-Maßnahme, und Heinz-Harald Frentzen meinte, aus Gründen der
Spannung sollte das Safety-Car ohnehin viel öfter ausrücken, aber zurück blieb
ein fader Beigeschmack. Der Verdacht: Hill sollte die Gelegenheit zum
Wettmachen seines Rückstands gegeben werden…
Michael und Hill kamen nun beide in der neutralen Phase an die Box um sich
Regenreifen abzuholen. Dabei allerdings unterlief Hill nun ein Fehler. Er
überschritt das Speedlimit in der Boxengasse um mehr als 30! km/h. In Runde 31
hatte dann auch das Safety-Car den Spitzenreiter gefunden und sich vor Michael,
den überrundeten Moreno und Hill gesetzt. Weiter hinten klaffte eine Lücke von
31. Sekunden, weil Taki Inoue nicht nach vorne aufschloss.
Die letzten 12 Runden durften dann ungebremst abgespult
werden. Aus dem erhofften Duell Michael
contra Hill wurde allerdings nichts, denn der Williams-Pilot musste noch seine
10 Sekundenstrafe wegen „Speedings“ absitzen. Seinen 2. Platz verlor er so
kurzfristig an Martin Brundle, konnte diesen aber wieder zurückerobern.
So standen am Ende Michael vor Hill und - erstmals 1995 -
Brundle auf dem Podest. Doch Hill war sauer: „Sofort nach dem Rennen sagte ich
Michael, dass ich mit seiner Fahrweise nicht einverstanden bin. Im Infight
berührten wir uns mit den Rädern. Er machte das Absichtlich.“ Michael jedoch
sah das in der PK gelassen: „Es kommt darauf an, wann. In langsamen Kurven kann
man schon mal mit den Rädern aneinander geraten. Solange das bei langsamem
Tempo passiert, ist es doch nicht schlimm. Da passiert doch nichts dabei, das
ist kontrollierbar. Im Go-Kart-Sport geschieht das oft.“ Dieses Argument lässt
Hill nicht gelten: „Hier sind wir in der Formel 1, nicht bei den Go-Karts“,
knurrte er. Michael darauf leicht belustigt: „Du solltest mal Go-Kart fahren,
das ist wirklich gut.“
Den Sportkommissaren gefiel das aber wohl auch nicht so gut:
Ein Rennen sperre auf Bewährung (für vier Rennen) wegen gefährlicher Fahrweise.
„Ich habe kein Verständnis für das Urteil. Natürlich gehen wir in Berufung.“
Wenige Tage später zog Benetton den Berufungsantrag jedoch wieder zurück. Zu
groß war das Risiko, bei der Verhandlung noch härter bestraft zu werden. Man hatte
aus Silverstone 1994 gelernt.
Was Michael nicht wissen konnte: Beim nächsten GP in Monza nicht starten zu
dürfen, wäre kein Nachteil gewesen: Damon Hill schickte den Weltmeister in der
24. Runde ins Kiesbett – aber auch Hill war damit draußen.
Quellen: FIA Saison Review 1995. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Karin Sturm "Michael Schumacher - Ein Leben für die Formel 1", 6. aktualisierte und erweiterte Neuauflage 2010.
14. Rennen der Saison '95
Der Große Preis von Europa auf dem Nürburgring
1. Oktober 1995
Nach dem grandiosen Rennen in Spa, der Nullrunde in Monza
und einem zweiten Platz in Portugal stand für Michael sein zweiter Heim-GP auf
dem Programm. Erstmals seit 1985 gastierte die Formel 1 wieder im Schatten der
Nürburg. Diesmal jedoch nicht mehr auf der legendären Nordschleife sondern auf
einer neu gebauten Strecke.
Im ersten Qualifikationstraining gab das Williams-Duo den
Ton an. David Coulthard fuhr vor Hill Bestzeit. Michael musste sich mit Rang
drei begnügen. „Ich fuhr auf der letzten Rille“, sagte er, „mehr war nicht
drin. Es wird sehr schwierig, an diesem Wochenende vor den Williams ins Ziel zu
kommen.“
Als Bertrand Gachot (1991 derjenige der im Gefängnis landete und Michael sein
Auto überlassen musste) nach dem ersten Zeittraining im Fahrerlager auftauchte
und sich über die Ergebnisse des Tages informierte, hörte er was Michael erklärt hatte. „Michael macht sich
doch wegen Damon keine ernsthaften Sorgen, der weiß doch genau, dass er den
Deppen schlagen wird – das ist doch viel zu einfach.“ Gachot selber war inzwischen
Mittbesitze des Pacific-Ford-Rennstalls und
fuhr die Saison 1995 auch selbst elf Rennen. Am Nürburgring war er allerdings
nur Zuschauer.
Als das Abschlusstraining am Samstag begann, war die Bahn nass. Bei niedrigen
Temperaturen verdunstete das Regenwasser nur sehr, sehr langsam. Lange Zeit tat
sich deshalb nichts auf der Strecke. Niemand war bereit, die Piste für die
Gegner trockenzufahren. Damon Hill war der erste der von den Top-Piloten drei
Minuten vor Halbzeit auf eine Schnupper-Runde ging. Unterm Strich verbesserten
aber nur 7 Fahrer ihre Vortageszeiten, denn bis in die Schlussminuten blieb es im
Castrol-S und in der Zieleingangskurve feucht. Die Reihenfolge für den Start
lautete also wie am Vortag: Coulthard vor Hill, Michael und Berger. Dahinter
kamen dann Irvine und Alesi.
Hill zeigte sich unterdessen wieder zuversichtlich für den
Rest der Saison, nachdem er im Rennen zuvor schon fast resigniert hatte: „Am
Sonntag werden sich einige Leute wundern. Knapp 25 Prozent der Meisterschaft
liegen noch vor mir, das reicht aus, um Schumacher noch abfangen zu können.“
Der WM-Stand lag zu diesem Zeitpunkt bei 72 zu 55 Punkte für Michael.
Am Morgen des Renntages zeigte sich die Region erneut von
ihrer unfreundlichsten Seite: 7,1 Grad Lufttemperatur, der Asphalt war keinen
Zehntelgrad wärmer. Und weil tiefhängende Wolken die Sicht raubten, weigerten
sich die Piloten, pünktlich ins Warm-up zu starten. Der Zeitplan geriet aber
nur geringfügig durcheinander: Mit nur 35 Minuten Verspätung wurden die letzten
Trainingsrunden abgespult. Eigentlich hätte man nun den Rennstart von 14 auf
14:35 Uhr verschieben müssen doch man entschloss sich stattdessen einfach nur
die vorgeschriebene Mittagspause zu verkürzen.
Für Coulthard verringerten sich die Chancen auf einen Sieg schon
vor dem Start. In den letzten Scheckrunden drehte er sich von der Strecke und
musste im auf Hill abgestimmten Ersatzwagen an den Start gehen.
Die Strecke war nass, aber es regnete nicht mehr. Damit wurde die Reifenwahl
zum Poker. Aber kein Team ließ sich in die Karten blicken. Doch als das Geheimnis
gelüftet wurde war klar: Alle außer Jean Alesi und den beiden McLaren-Fahrern
waren auf Nummer Sicher gegangen und hatten Regenreifen aufgezogen.
Als die 24 Piloten auf die Reise geschickt werden sollten, signalisierte
Massimiliano Papis Probleme – die Prozedur wurde abgebrochen. Doch anstatt
dessen Auto nun zügig wegzuschieben, schoben ihn die Streckenposten von
hinten nach vorne durchs Startfeld. Eine zweite Einführungsrunde wurde
notwendig. Auch beim zweiten Start signalisierte ein Fahrer Probleme, doch weil
dieser ganz hinten stand wurde der Start freigegeben.
Erinnerungen an Gachots spöttische Worte wurden wach, als
sich Michael schon auf den ersten Metern an Hill vorbeischieben konnte.
Coulthard, Michael, Hill, Irvine, Herbert und Alesi hieß die Reihenfolge auf
den ersten sechs Plätzen.
In Runde elf kamen Michael und Hill zu ihrem ersten Boxenstopp,
Coulthard im Anschluss an die zwölfte
Runde. Somit hatte das Rennen mit Alesi einen neuen Spitzenreiter, und der
blieb zunächst auch vorne, denn er war auf einer Ein-Stopp-Taktik unterwegs.
Hinter dem Slick bereiften Ferrari, der zeitweise einen Vorsprung von mehr als
40 Sekunden halten konnte, fighteten die zwei Williams-Fahrer und Michael. Am
Steuer des T-car fiel der Schotte recht schnell hinter die beiden Titelanwärter
zurück, die sich einen offenen Schlagabtausch lieferten. Den Höhepunkt erlebte
das Duell in Runde 16 mit gleich zwei Überholmanövern. Zunächst kämpfte Hill
sich an Michael vorbei, der dem Briten kurz darauf in der Zielkurve keine Chance zur Gegenwehr
ließ. Während Hill zu weit nach außen getragen wurde und sich dabei fast noch
drehte, schlüpfte Michael innen wieder vorbei. Entschieden war der Kampf jedoch
nicht vor der 40. Runde.
Alesi war nun auch endlich auf neuen Reifen unterwegs und führte knapp vor
Hill, der aufgrund des Boxenstopp-Rhythmus vor Michael lag. Immer näher kämpfte
sich Hill an den Franzosen heran… Zu nah, denn in einer Schikane zerbrach der
Frontflügel des Williams am Heck des Ferraris. Hill musste zwar ohnehin noch an
die Box aber nach 32,2 Sekunden Aufenthalt war er nur noch vierter hinter Alesi, Michael
und Coulthard. Während Hill verzweifelt bemüht war, Anschluss an Coulthard zu
finden, dachte Michael erstmals über den möglichen Sieg nach. „45 Sekunden
Rückstand auf Jean“, sollte er später zu Protokoll geben, „das schien bei mehr
als 20 Runden Restdistanz keine unlösbare Aufgabe zu sein. Dann gab man mir per
Funk die Nachricht, ich müsste noch mal an die Box…“
Als Michael diesen Stopp nach 52 Runden einlegte, folgte er dem Ferrari bereits
mit weniger als einer Sekunde Rückstand. Der Halt machte daraus wieder 22,3
Sekunden Abstand.
Sieben Runden später war der Abstand schon nur noch 10,9 Sekunden auf Alesi –
Hill flog unterdessen in die Reifenstapel. „Seit der Kollision mit Alesi war
meine Lenkung schwergängig“, entschuldigte er sich.
Da sein WM-Rivale nun aus dem Rennen war, hätte Michael einfach auf ankommen
fahren können. Doch er wollte mehr und blies zum letzten Angriff. Sollte er bei
der Jagt abfliegen würde er ja immer noch mit einem 17 Punkte Polster ins
nächste Rennen starten.
Immer näher kam der Benetton dem roten
Spitzenreiter. Der wurde ständig durch Nachzügler aufgehalten. Alleine in Runde
61 verlor er 5,4 Sekunden, weil er über die Wiese musste.
In der drittletzten Runde war es dann soweit, Michael war so dicht an Alesi
dran, dass er sich durch ein klasse Manöver in der Schikane vor Start und Ziel
außenherum an Alesi vorbeischieben konnte. Unter dem tobenden Applaus der deutschen Fans
ging er in Führung und gab diese bis ins Ziel auch nicht mehr ab. Heimsieg Nummer zwei war unter Dach und Fach.
Sogar Hill applaudierte am Streckenrand.
Weltmeister dürfe er sich jetzt noch nicht nennen,
sagte er anschließend, aber die drei fehlenden Punkte werde er auch noch holen.
Ein Rennen später in Aida/Japan und zwei Rennen vor Schluss
kam es dann auch wie es kommen musste: Der zweite Titel war Sicher.
Standesgemäß holte er sich seinen zweiten Titel diesmal mit einem Sieg. Auch
gefeiert wurde Standesgemäß, wie man das bei Michael bis heute gewohnt ist.
„Jetzt lass ich mich volllaufen.“ Gemeinsam mit den Crews von Benetton und
Renault überschwemmte er bis drei Uhr morgens Restaurant und Foyer des
Tanaka-Buildings bei Start und Ziel. Michael mit nacktem Oberkörper und einer
Zigarre im Mundwinkel, das war ein seltener Anblick – der Alkohol machte es
möglich. Dem japanischen Personal standen die Haare zu Berge, während der
Teppichboden literweise Bier, Wein und Champagner aufsaugte. Keiner der Gäste
trug mehr trockene Kleidung. Nur Ron Dennis kam ungeschoren davon, aber der
flüchtete auch bereits frühzeitig durch die Küche und einen Hinterausgang.
Mercedes-Sportchef Norbert Haug hingegen erwischte es voll: Michael goss ihm
zur Begrüßung eine Flasche Rotwein in den Kragen seiner Lederjacke. Der
Champion am nächsten Mittag: „Es war wohl ein Fehler, Bier und Wein
durcheinander zu trinken. Das spezielle Weltmeistergefühl, das ich 1994 in
Adelaide spürte, fehlte gestern – ich war zu besoffen. Aber das macht nichts,
ich hatte es diesmal schon am Nürburgring, auch wenn noch ein paar Pünktchen
fehlten.“
Quellen: FIA Saison Review 1995. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.
7. Rennen der Saison '96
Der Große Preis von Spanien auf dem Circuit de Catalunya in Barcelona
2. Juni 1996
Michaels Wechsel zum Traditionsrennstall war die große
Sensation gewesen, vielerorts mit Unverständnis quittiert: Die Scuderia war
letztmals 1990 eine Macht im GP-Sport gewesen. Aber noch vor Saison Beginn
sprach Michael vom Siegen: „Es wird 1996 nicht zum Titel reichen“, sagte er
klar, „aber ein paar Rennen können wir gewinnen.“ Eine sehr optimistische Aussage, denn nach 1990 hatte Ferrari gerade mal
zwei GP gewonnen…
Auch 1996 wollten am Anfang noch keine Siege kommen.
Vielmehr wurden Michael und sein Team auf eine harte Geduldsprobe gestellt:
Melbourne – Ausfall, Brasilien – Platz
3, Argentinien – Ausfall, Nürburgring – Platz 2, Imola – Platz 2, Monaco –
Ausfall. Der Beginn war ein einziges Auf und Ab. Erst in Spanien sollte es den
erlösenden ersten Ferrari Sieg für ihn geben. Und was für einen!
Michael war ohne große Erwartungen angereist. „Das ist kein
Kurs für unsere Autos“, erklärte er, „erst in Montreal werden wir wieder besser
aussehen.“ Und damit, so betonte er ausdrücklich, wolle er keinen
Zweckpessimismus verbreiten.
Im Qualifying kam es dann auch so, wie er es vorhergesagt hatte: Hill und
Villeneuve gaben klar den Ton an. Michael fehlte zur Pole, die sich der Brite
locker sicherte, fast eine volle Sekunde. „Im Rennen wird’s vielleicht noch
schlimmer.“
Doch scheinbar wollte der Wettergott sich ein solches Elend nicht anschauen und
brachte die Wende. In der Nacht auf Sonntag begann es zu regnen.
Williams-Ingenieur James Robinson sagte später: „Um 4:30 Uhr sah ich aus dem
Fenster meines Hotelzimmers und es goss in Strömen.“ Er hätte, im Sinne seines Teams,
wohl besser weiter geschlafen, denn später sollte er die falschen Schlüsse aus
seinen Beobachtungen ziehen. Für Michael allerdings hätte nichts Besseres
passieren können.
Im nassen Warm-up hatten Michael und seine Techniker schon längst die Chance
zum Poker-Spiel erkannt: Konsequent wurde sein F310 auf Regenwetter abgestimmt.
Bei Williams erinnerte sich hingegen Robinson an seine Beobachtung. Weil es ja
unmöglich „so lange ununterbrochen regnen kann“, wählte man bei Williams trotz
der düsteren Prognosen ein Misch-Set-up, das ein Abtrocknen der Piste im
Verlauf der zweiten Hälfte des Rennens einkalkulierte.
Der Start brachte die ersten Überraschungen. Villeneuve
beschleunigte perfekt, als die Lichter der Ampel verlöschten. Hill hingegen
schien kurz zu zögern, bevor er gefühlvoll Gas gab und verlor zwei Plätze, denn
auch Alesi ging an ihm vorbei.
Schlimmer noch als Hill erwischte es allerdings Michael.
Beinahe würgte er den V10 seines Ferraris ab. „Mein Start war ein Desaster“,
sollte er nach dem Rennen sagen, „ich hatte Probleme mit der Kupplung. Als ich
die Kupplung betätigen wollte, war da nichts. Ich versuchte es ein weiteres
Mal. Ich hatte offenbar eine Kupplung die mal funktionierte und dann wieder
nicht. Ich weiß nicht, wie viele der anderen mich überholten. Sogar Diniz und
solche Leute flogen vorbei. Aber ich hatte Glück im Unglück – niemand knallte
mir ins Heck.“
Während sich Michael darüber wunderte, „wie wenig man sieht, wenn man bei Regen
hinten im Feld liegt. Ich hatte wirklich Angst, ich würde mit irgendjemandem
kollidieren“, forderte die Blindflug-Orgie ihre ersten Opfer. Gleich fünf
Piloten strandeten im Verlauf der ersten Runde. Ein weiterer schleppte seinen
ramponierten Boliden gerade einmal über den Zielstrich, bevor er ihn in den
Boxen abstellten musste. Zu denen, die sofort Feierabend machen durften,
zählten Oliver Panis und David Coulthard.
Michael kam auf Position sechs aus der ersten Runde zurück. 6,2 Sekunden
trennten ihn von Spitzenreiter Villeneuve. Einen Umlauf später fehlte Michaels
direkter Vordermann, Eddie Irvine. Der hatte seinen Boliden im Kies
festgefahren. So machte der Weltmeister – auf Kosten seines Teamkollegen –
einen Platz gut, aber der Rückstand wuchs: Jetzt fehlten ihm bereits 7,2
Sekunden auf den Kanadier.
Auch die dritte Runde ging an die Startnummer sechs. Michael
konnte keinen Platz gut machen und verlor gleichzeitig weitere 1,2 Sekunden.
Runde vier brachte die Wende. Damon Hill, zuvor unveränderter dritter, unterlief
der erste von drei Patzern. Erst hinter dem roten Ferrari des Champions konnte
er sein Auto wieder auf den korrekten Kurs steuern. Michael „erbte“ den Platz
und machte erstmals Boden auf Villeneuve gut: Eine Zehntelsekunde nahm er ihm
ab.
In Verlauf der nächsten Runde passierte die „Rote Eins“ Gerhard Berger, als
handle es sich um einen lästigen Hinterbänkler. 6,4 Sekunden fehlten ihm nun
zur Spitze. Auffällig wurde in dieser Phase des Rennens wie anders, im Gegensatz zur Konkurrenz,
die Linie war die sich Michael auf der Strecke durch den Regen suchte. Beim
nächsten Umlauf machte er richtig Boden gut und verkürzte den Abstand auf 2,7
Sekunden. Es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis er zum großen
Schlag ausholen sollte. Aber Michael überstürzte nichts auf dem Seifenglatten
Asphalt, Runde sieben brachte ihn bis auf 1,7 Sekunden an Villeneuve heran, der
unverändert durch Alesi abgeschirmt wurde. Michael lauerte und beobachtete
seine Vorderleute. Während des nächsten Umlaufes verlor er erstmals wieder vier
Zehntel auf den Spitzenreiter. Wie schwierig die Bedingungen immer noch waren
wurde wieder deutlich als Hill sich im Verlauf derselben Runde erneut drehte und vom
fünften auf den achten Rang zurückfiel.
In Runde neun machte Michael erstmals ernst und schnappte sich Alesi, der bei Nässe
eigentlich keine Gegner zu scheuen brauchte. Doch bei Villeneuve nahm er sich
erneut Zeit. Voll im Spray des Spitzenreiters, wartete er zwei Runden lang.
Dann, inzwischen lief Runde zwölf, machte er den Sack zu. Mit 2,9 Sekunden
Vorsprung vor Villeneuve tauchte er als Führender bei Start und Ziel auf. Der
Kanadier sagte später: „Als Michael mir näher kam, wusste ich, dass er mich
überholen würde. Mein Plan sah vor, mich dann sofort an ihn zu hängen und ihm
zu folge. Aber das ging nicht. Er lies mich exakt an jener Stelle stehen, wo er
mich vernascht hatte.“ Tatsächlich wuchs Michaels Vorsprung von Runde zu
Runde dramatisch an: Den 2,9 Sekunden folgten 6,6 - 10,5 - 14,9… Die Show des
Weltmeisters war gigantisch.
Hill war zu diesem Zeitpunkt schon längst ausgeschieden. Sein dritter Fehler
war auch sein letzter. Vorne setzte Michael seine One-Man-Show perfekt fort.
Dahinter folgten im wachsenden Abstand Villeneuve, Alesi, Berger und
Barrichello. Alle vier brauchte der führende Ferrari-Pilot nicht zu fürchten –
wohl aber die Technik. Zu Beginn der 33. Runde spitzten die Beobachter bei
Start und Ziel ihre Ohren: Der rote Bolide tönte unsauber! Eindringende Nässe
hatte zwei Zylinder lahmgelegt. Michael: „Natürlich verlor ich deshalb an
Leistung, aber bei dem Regen war das kein Problem. Schlimm war, dass ich
befürchtete auszufallen.“ Aber der Ferrari hielt durch – vorläufig ein letztes
Mal, denn vor dem 28. Juli sollte Michael die Zielflagge nicht mehr zu Gesicht
bekommen: Montreal: Ausfall wegen defekter Antriebswelle. Frankreich:
Motorschaden in der Einführungsrunde. Silverstone: Ausfall, Getriebehydraulik… Seinem Teamkollegen erging es jedoch noch
schlimmer. Irvine erreichte erst beim vorletzten Rennen noch einmal für die
Saison das Ziel.
Dank der perfekten Rennabstimmung und seinem fahrerischen Können war Michael im Regen von Barcelona eine Klasse für sich, fuhr
sein eigenes Rennen. Am Ende lag er 45 Sekunden vor Alesi, der es geschafft
hatte noch an Villeneuve vorbei zu kommen, und wurde nach dem Rennen gefeiert
wie ein Supermann von einem anderen Stern. Doch das war nebensächlich.
Wichtiger war die Tatsache, dass er zusammen mit Villeneuve den zweiten Platz
in der Weltmeisterschaftswertung einnahm. Beide hatten 26, Hill an der Spitze
43 Punkte.
„Es ist einfach erstaunlich. Wenn mich jemand gefragt hätte, darauf zu wetten,
hätte ich nicht einmal einen Pfennig riskiert.“ Nur eines hatte der Sieger an
seinem Ferrari zu bemängeln: „Ich werde mir eine Heizung einbauen lassen. Ich
fror wie ein Schneider, und auf dem Podest konnte ich die Hymnen nicht hören,
so sehr klapperten meine Zähne.“
Quellen: FIA Saison Review 1996. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000.
14. Rennen der Saison '96
Der Große Preis von Italien auf dem Autodromo Nazionale Monza in Monza
8. September 1996
Dem Sieg im Spanischen Regen folgte ein Sommeranfang zum
vergessen. Drei Rennen lang sah keiner der beiden Ferraris die Zielflagge. Höhepunkt
dieser Ausfallserie war der Motorschaden von Michaels Ferrari schon in der
Einführungsrunde zum Frankreich Grand Prix. In der Ferrari-Box packte Jean Todt
das nackte Grausen: „Das ist mein schwärzester Tag im Motorsport.“
Michael jedoch hatte seine Gefühle auf dem Weg zurück zur Box erstaunlich
schnell wieder im Griff. „In so einer Situation darf man sich nicht
gehenlassen, egal, wie enttäuscht man ist“, sagte er und richtete gleich noch
eine eindringliche Warnung an die Meute der italienischen Journalisten, die
sich bereits auf den Teamchef als Sündenbock für die Debakel dieser Saison eingeschossen
hatten: „Wenn ihr jetzt den Kopf von Todt fordert, macht ihr Ferrari kaputt.“
Drei Rennen später folgte die glückliche Wende. Man gewann in Spa: „Das ist ja
pures Hollywood“, strahlte Michael nach seinem 21. Grand-Prix-Sieg und konnte
sein Glück kaum fassen. „Aber scheinbar sind wir immer dann besonders gut, wenn
uns keiner etwas zutraut oder wir im Training schlimme Probleme haben.“
Auf dem anspruchsvollen Kurs in den
Ardennen war es ein schwerer Unfall im ersten Training, der die Bereitschaft
selbst der mutigsten Zocker, auch nur eine müde Mark auf Ferrari zu wetten,
spürbar senkte. Ausgangs der Malmedy-Kurve verlor Michael die Gewalt über
seinen Ferrari und schlug nach einer 180-Grad Drehung rückwärts in die mit
Altreifen gepolsterten Leitplanken ein. Der Aufprall war so hart, dass sein
Knie das Lenkrad zerbrach. Ein stark geschwollenes Knie und eine eingehende
Untersuchung im Medical Center an der Strecke waren die Folge. Das
Nachmittagstraining verbrachte er friedlich schlafend im Ferrari-Motorhome.
Am Tag des Rennens war der Unfall schon wieder ein alter Hut. Denn Michael
lieferte den Sensationshungrigen Presseleuten den Stoff, aus dem Helden sind.
Die Entscheidung auf der Traditionsrennstrecke fiel, als noch kein Mensch damit
rechnete. In der zwölften Runde gab Jos Verstappen seine ureigene Version des
Opernklassikers „Der fliegende Holländer“, als er bei Tempo 215 einen furchterregenden
Unfall hatte. Das Safety Car musste ausrücken, und in diesem Augenblick schlug
die Stunde der Strategen. Michael meldete sich unverzüglich zum Tankstopp an
seiner Box. Doch was hinterher als hohe Kunst des Taktierens gefeiert wurde,
war schlicht und einfach Glück: „Wenn ich da nicht getankt hätte“, so Michael, „wäre
ich ohne Sprit stehengeblieben.“ Konfusion statt Kalkül dagegen bei Williams:
Ein total verhauener Boxenstopp kostete Villeneuve den Sieg.
„So langsam“, sagte Michael mit einem breiten Grinsen, „fühle ich mich wie der
König von Spa.“ Übertroffen wurde dieses Glücksgefühl nur noch von seinem Sieg
in Monza.
Die Trainings für den zweiten WM-Lauf des Jahres auf
italienischem Boden verliefen turbulent. Wegen des Wetters und wegen der neuen
Flachbortsteine. Samstags fegte der Wind derart über die altehrwürdige Anlage,
dass zahlreiche Blätter und kleine Zweige auf den Asphalt wehten. Zunächst
wollte niemand auf die Bahn, um für die Kollegen denn Laubsammler zu spielen.
Das Problem Nummer zwei sollte von Freitag bis Sonntag eine wichtige Rolle
spielen. Bis ins Vorjahr waren die Kerbs in Monza den Fahrern, Ingenieuren und
Mechanikern ein Dorn im Auge: Sie waren zu steil, und außerdem verfügten sie
über eine scharfkantige Zähnung, der so mancher Unterboden zum Opfer fiel. Nun
waren die Flachbortsteine tatsächlich flach, und der Bereich jenseits der
Trennungssteine war durch Verbundpflaster so präpariert, dass er eine bequem
zugängliche Abkürzungsfläche bot… Die hohen „Gummisäulen“ waren kein Hindernis.
Die Funktionäre handelten: Im Bereich der Kurvenscheitelpunkte wurden
Altreifen-Stapel errichtet. Diese waren den Fahrern wiederum zu hoch. Nicht
ohne Grund, wie das Rennen zeigen sollte.
Die Poleposition konnte sich Hill vor Villeneuve und Michael sicher. Letzterer
wusste inzwischen, wie glücklich sein Sieg in Spa wirklich war. „Der Antrieb
der Getriebeölpumpe hätte keine zusätzliche Runde geschafft.“ Jetzt erwartete
er allerdings kein weiteres Wunder. Sechs Jahre war es schließlich her, dass
Ferrari in zwei aufeinander folgenden Grand Prix siegen konnte. Den letzten
Monza-Erfolgt durfte die Scuderia 1988 feiern.
Minuten vor dem Start lüftete Michael in der Startaufstellung vor laufenden
RTL-Kameras ein süßes Geheimnis. „Corinna und ich werden Mama und Papa“,
strahlte er, setzte den Helm auf, stieg ins Auto und fuhr einem Sieg entgegen.
Doch am Start stahl erst mal ein ganz anderer Michael die Show: Jean Alesi! Von
Platz sechs! aus katapultierte sich der Draufgänger an die Spitze. Michael schoss
nur die Frage „wo kommt der denn her?“ durch den Kopf. Aber Ausgangs der Ascari
Schikane konnte zumindest Hill wieder an Alesi vorbeigehen. Hinter den beiden
entbrannte ein Reifenkrieg der besonderen Art. In Runde zwei rammte Villeneuve
einen der Reifenstapel im Bereich der zweiten Schikane. Coulthard konnte den
Pneus nicht ausweichen, die Lenkung seines McLaren brach, die von Villeneuve
war verbogen. In Runde drei wirbelte Alesi, dessen Benetton unbeschädigt blieb,
Pneus auf, und Häkkinen tappte in die Falle. Der Frontflügel musste gewechselt
werden. Dann die Sensation: Hill nahm in der Variante Goodyear falsch Maß,
streifte den Reifenstapel, drehte sich und war aus dem Rennen. Die Reihenfolge
an der Spitze lautete nun Alesi vor
Michael, Irvine und Villeneuve.
Zur Begeisterung der Tifosi klebte Michaels Ferrari im Heck des führenden
Benettons. Der Boxenstopp sollte die Wende bringen, denn zum Überholen auf der
Strecke war der Ferrari zu langsam. In Runde 31 war es Alesi der zuerst zum
Service fuhr, Michael hatte somit freie Fahrt. Jetzt lag es an ihm die
Entscheidung zu bringen. Wie es seit vergangenen Benetton-Tagen bekannt war,
quetschte er - scheinbar auf Knopfdruck – das Maximum aus sich und seinem Auto.
Die Rechnung ging auf. Nach 33 Umläufen ging Michael wieder auf die Piste, bevor
Alesi vorbeigeflogen war.
Der Franzose erklärte später: „Ich zögerte den Boxenstopp hinaus und wunderte
mich, dass Michael weiterfuhr. Ich dachte, er dreht jetzt maximal noch eine
Runde, aber er fuhr sogar noch zwei!“ Nicht nur Alesi wunderte sich, sondern
auch die Ferrari Crew. Um, befreit vom Vordermann, schnelle Runden fahren zu
können, blieb Michael länger draußen als geplant. Einer seiner Ingenieure sagte
später nach dem Rennen: „Er hatte unglaubliches Glück. Wir dachten alle, dass
er mit leerem Tank stehenbleiben würde…“
Runde 40 brachte dann zum Schrecken aller Tifosi beinahe einen neuen
Führungswechsel: Michael kopierte den Hill-Fehler aus der Anfangsphase und
streifte die Altreifen. Eine Hand glitt beim Aufprall vom Lenkrad. Der Ferrari
drohte aus dem Ruder zu laufen, aber Michael meisterte die Situation mit Können
und Glück. Von der Box hatte er das Signal bekommen, es bei inzwischen knapp
zehn Sekunden Vorsprung auf Alesi etwas ruhiger angehen zu lassen. „Typisch für
eine solche Situation“, erklärte er abends im Fahrerlager, „du nimmst Tempo
weg, dann stimmt’s mit der Konzentration nicht mehr. Ich fuhr ja langsam wie
mit einem Gruppe C.“ Während des letzten Renndrittels habe er aufgrund der betulichen
Gangart viel Zeit zum Nachdenken gehabt, berichtete er später. Dabei sei ihm
auch wieder sein Baby in den Sinn gekommen: „Wenn du jetzt rausfliegst, schoss
mir durch den Kopf, dann kann ich ihm später erzählen, dass ich in Monza von
der Piste gesegelt bin, weil ich an es dachte.“
Nach knapp 80 Minuten war die Sensation perfekt: Michael hatte den Gran Premio
d’Italia gewonnen! Die Tifosi stürmten die Piste und bereiteten ihm eine
Siegerehrung, die er so schnell nicht vergessen sollte. Noch in Spa hatte er
gesagt: „Selbst wenn ich in Monza gewinnen sollte, noch toller als hier kann’s nicht
werden.“ Jetzt war er zunächst sprachlos, dann sprach er von „Gänsehaut“ am
ganzen Körper. „In Monza mit einem Ferrari zu gewinnen, das ist einfach das
Größte. Nach dem Boxenstopp habe ich gemerkt, dass ich vor Alesi lag, als ich
wieder rauskam. Das hat man schon an den Massen der geschwenkten Fahnen
gesehen. Die Ferrari-Fans haben unheimlich lange gewartet, und ich bin
wahnsinnig glücklich, dass ich ihnen den ersten Heimsieg seit 1988 schenken
kann. Ich habe noch nie so viele Emotionen gesehen. So zu feiern, ist nur in
Italien möglich."
Einer der schönsten Tage in seinem Leben sei das gewesen, jubelte ein völlig
gelöster Michael. „Und dass ich dann auch noch heute mein Glück verkünden
konnte, Vater zu werden, war noch ein zusätzliches Geschenk.“
Im von Fans belagerten Fahrerlager feiert der Überraschungssieger bis nach 20 Uhr.
Immer wieder schoss er Böllerschüsse vom Dach der Rothmans Hospitality. Und über
noch etwas durfte Michael sich nach Monza freuen. Er hatte mit Luca di
Montezemolo vor Spa abgemacht, dass ihm bei einem Sieg der halbe Preis für
einen neuen Ferrari erlassen werden sollte. Da Michael aber sogar noch zwei Rennen
gewinnen konnte musste di Montezemolo einen nagelneuen Ferrari 550 Maranello
herausrücken ohne dass Michael irgendetwas dafür bezahlen musste. "Er meinte, bei jedem der nächsten Rennen, die du gewinnst - also die
zwei Europarennen, die noch anstanden, Spa und Monza - gebe ich dir 50
Prozent. Ich meinte, da kann ich mit leben. Es kam, wie es kam, ich habe
erst Spa und dann noch Monza gewonnen und hatte damit gleich noch ein
Auto dazugewonnen", erklärte Michael.
Mit seinem dritten Sieg hatte er das von ihm vor der Saison
abgesteckte Plansoll erfüllt. Sein dritter Platz in Portugal und sein zweiter
in Japan waren nur noch willkommene Zugaben und bescherten seinem ersten Jahr
bei Ferrari, in der er Höhen und Tiefen erlebte, doch noch einen versöhnlichen
Abschluss.
Quellen: FIA Saison Review 1996. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000. Karin Sturm "Michael Schumacher - Ein Leben für die Formel 1", 6. aktualisierte und erweiterte Neuauflage 2010.
5. Rennen der Saison '97
Der Große Preis von Monaco in Monte Carlo
11. Mai 1997
In der Saison 1997 war bislang nicht all Zuviel
zusammengelaufen für Michael. Australien brachte mit einem zweiten Platz noch
ein achtbares Ergebnis, in Interlagos rutschte er auf einen fünften Rang ab
und in Argentinien unterlief ihm einer der seltenen Fahrfehler: Schon beim
Start katapultierte er sich nach draußen und nahm Coulthard mit. In Imola wies
die Formkurve endlich wieder nach oben, er wurde Zweiter hinter Heinz-Harald
Frentzen. Und in Monaco, endlich, stand Michael wieder dort, wo er auch
hingehörte: Ganz oben.
Im Qualifying legte Michael die Latte mit einer Zeit von 1:18,235
Minuten bereits frühzeitig recht hoch. An der Leistung schienen sich die
Konkurrenten die Zähne auszubeißen. Nur Frentzen konnte ihm den besten Startplatz
mit 1:18,216 am Ende noch entreißen.
Für den Sonntag sah der Wetterbericht Regen voraus der eine
halbe Stunde vor Beginn des Rennens zu einem anständigen Regenguss werden aber
bald darauf wieder aufhören sollte. Es war für die Teams eine furchtbar
ungenaue Vorhersage, weil man nicht genau einschätzen konnte, auf welches
Wetter man sich nun einstellen sollte. Bei Williams setzte man darauf, dass der
Regen, der vor dem Rennen tatsächlich eingesetzt hatte, bald aufhören würde.
Darum standen Frentzen und Villeneuve auf Slicks in der Staraufstellung. In der
Boxengasse dachte ein zögerlicher Michael über die Wahl der Reifen nach. Er
hatte einen Ferrari mit Trockenreifen in der Garage, der andere hatte
Intermediates als Bereifung. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, weil er einen
Wagen in die Startaufstellung bringen musste. Die Entscheidung über die Reifen
konnte er dann immer noch treffen.
Todt beobachtete ihn. „Michael zögerte lange. Dann 20 Minuten vor dem Start und
fünf Minuten bevor die Boxengasse geschlossen wurde, traf er alleine die
Entscheidung und wählte den Wagen mit der Chassisnummer 175 und den Intermediates.“ Das T-car also.
Michael hatte seine Entscheidung sehr umsichtig getroffen. „Ich entschloss mich
im letztmöglichen Moment.“ In der Startaufstellung bat er um mehr Flügel und wählte endgültig die
Intermediat-Reifen. Zur gleichen Zeit wurden bei Frentzens Wagen neben ihm die
Trockenreifen aus den Heizdecken geholt. „Ich war echt erstaunt“, meinte
Michael. „Irgendwie verwirrte es mich auch.“ Er wusste genau, dass wenn er
einen Fehler gemacht hatte, ein zweiter Boxenstopp notwendig werden würde. Und
der würde ihn locker zwölf Plätze kosten.
Doch schon am Start machte Michael deutlich, wer an diesem
Tag Herr im Hause war. An Frentzen vorbei stach er in die Ste. Devote-Schikane
und katapultierte sich die lange Casino-Steigung hinauf. Dann näherte er sich
der Stelle vor dem Tunnel, wo er im Jahr zuvor in den Leitplanken gelandet war.
„Als ich in der ersten Runde an diese Stelle kam, war ich super vorsichtig.
Während des ganzen Rennens hatte ich zwischen Mirabeau und dem Tunnel die größten
Schwierigkeiten. Auf der einen Seite hatte ich den Eindruck, dass ich so
langsam war, dass ich hätte aussteigen und nebenherlaufen können, auf der
anderen Seite dachte ich, ich würde nicht stark genug verzögern.“ Als Michael
das erste Mal über Start und Ziel fuhr hatte er vor dem zweitplatzierten
Fisichella, der auch auf Intermediats unterwegs war, schon 6,654 Sekunden
Vorsprung herausgefahren. Nicht nur Fisichella fühlte sich abgehängt, auch die
anderen Piloten fuhren offensichtlich ein anderes Rennen.
Hinter Michael und Fisichella forderten die rutschigen Pistenverhältnisse erste
Opfer: Pedro Diniz traf es bereits in der Eröffnungsrunde. Der nächste Umlauf
sah Weltmeister Hill und das McLaren-Duo im Aus. Frentzen und Villeneuve
hingegen mussten in der fünften Runde an die Box um auf
Regenreifen umzurüsten, die allerdings nicht mit der Trocken-Abstimmung ihrer Rennwagen
harmonierten.
Nach nur zehn Runden führte Michael mit knapp einer halben Minute Vorsprung vor
Barrichello, dessen Teamkollegen Fisichella, Panis, Irvine und Salo. Wie
schwierig es war, sich unter den gegebenen Witterungsbedingungen
durchzuschlagen, zeigte ein Blick auf das Durchschnittstempo: Selbst auf seinen
schnellsten Runden blieb Michael deutlich unterhalb von 110 km/h.
Der erste Ferrari-Sieg in Monaco seit 1981 wurde immer wahrscheinlicher, zumal
sich die Verfolger weiter dezimierten:
Runde zehn brachte das Aus für Johnny Herbert. Wenig später musste auch
Villeneuve nach einem Leitplanken "Kuss" mit verbogener Aufhängung kapitulieren.
Langsam zeichnete sich ab, dass die geplante Distanz von 78 Runden innerhalb
der zwei Stundengrenze keinesfalls abgespult werden konnte. Nach 32 Runden lies
Michael seinem Ferrari Regenreifen aufziehen und neu betanken. Kurz darauf war
die endgültige Reihenfolge für den Zieleinlauf schon gefunden. Mit einer Minute
Vorsprung führte Michael das Feld vor Barrichello, Irvine, Panis, Salo und
Fisichella an.
Doch Michael wäre nicht Michael wenn er es in den letzten Runden nicht noch
einmal spannend gemacht hätte. Wie schon in Monza 1996 (und noch einmal in
Indianapolis 2000) sorgte er für eine seiner unvergesslichen „Showeinlagen“,
die bei seiner Crew und seinen Fans allerdings nicht wirklich beliebt waren.
Zu Beginn der 53. Runde ging Michael ohne jede Not mit zu viel Dampf in die
Schikane am Ende der Boxengeraden. Doch er hatte Glück: An dieser Stelle befand
sich einer der insgesamt drei Notausgänge. „Ich hätte die Kurve vielleicht
geschafft, doch dabei wäre ich das Risiko eingegangen, in den Leitplanken zu
landen. Daher nahm ich den geraden Weg in den Notausgang, wendete und war
wieder im Rennen.“ Später scherzte er als ihn jemand nach seinem Manöver in
Ste. Devote fragte, er hätte dort ein Meer an Ferrari-Fahnen gesehen und wollteden Fans eine kleine Aufregung bieten.
Nach zwei Stunden oder 62 Runden wurde das Rennen abgebrochen. 53,306 Sekunden trennten den Sieger vom zweitplatzierten Barrichello. Ferrari
Rennleiter Jean Todt, der seine Beiden Piloten auf dem Siegerpodest wusste,
führte ausgelassen einen seiner Freudentänze auf. Dank seines Sieges übernahm
Michael auch in der Fahrer-WM die Führung vor Villeneuve. Vom möglichen
Titelgewinn wollte der große Held der monegassischen Wasserschlacht allerdings
(noch) nichts wissen.
Quellen: FIA Saison Review 1997. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000.
12. Rennen der Saison '97
Der Große Preis von Belgien auf dem Circuit deSpa-Francorchamps
24. August 1997
Nach Monaco konnte Michael
noch zwei Rennen gewinnen und brachte die WM-Führung mit nach Spa. Nur kurz
hatte er sie nach dem Spanien Rennen an Villeneuve abgeben müssen.
Die Ardennen empfingen die
Formel 1 donnerstags bei hochsommerlichen Temperaturen. Jeder war begeistert
und irritiert zu gleich. Was sich allerdings freitags direkt wieder änderte: Es
regnete… Auf dem nassen Asphalt gaben die beiden Benetton-Piloten den Ton an.
Michael hingegen wurde nur fünfter.
Das Wetter der kommenden Tage war Gesprächsthema Nummer eins im Formel 1 Lager.
Im freien Samstagstraining regnete es zunächst, dann trocknete der Asphalt
kontinuierlich ab. Doch ohne die zwei Slick-Varianten ausreichend geprüft zu
haben, mussten sich die Piloten vor dem Qualifying für einen der beiden Typen
entscheiden. Die Wahl fiel allgemein auf die harten Gummis. Goodyear-Pilot
Michael: „Die weiche Mischung war wohl etwas zu optimistisch…“
Hinter Villeneuve und Alesi qualifizierte er sich für den dritten Startplatz –
im Reservewagen. Er hatte um die Zeit gekämpft. Nach zwei Drittel des Trainings
lag er noch an siebter Stelle.
Das Warm-up verlief unter
strahlendem Sonnenschein doch als die Startvorbereitungen schon in vollem Gange
waren fielen die ersten dicken Regentropfen. Noch allerdings hielten sich die
Niederschläge bei Start-und-Ziel in Grenzen. Wieder hatte Michael die Qual der
Wahl: Einsatzauto mit Trockenabstimmung oder T-car für Intermediats und
geringer Spritlast. Er fuhr zu einer Erkundungsrunde auf die Strecke, sah zu
viel Wasser und entschied sich so spät für den Reservewagen, dass er als
Letzter in die Startaufstellung rollte. Er sah um sich und stellte fest, dass
fast alle Kontrahenten auf Regenreifen gesetzt hatten. Zugute kam ihm auch,
dass die Rennleitung das erste Mal in der WM-Geschichte entschied das Feld
hinter dem Safety-car starten zu lassen. Drei Runden dauerte das Bummeltempo
an. Nach Runde vier, der ersten richtigen also, passierte das Feld die Boxen in
der Reihenfolge Villeneuve vor Alesi, Michael, Fisichella, Häkkinen und
Frentzen.
Das war der Moment in dem Michael zum Angriff blies: Bei La Source schnappte er
sich auf der Innenbahn Alesi. Obwohl der Ferrari den engeren Bogen nahm,
beschleunigte er deutlich besser aus der Haarnadelkurve als der Benetton. Der
nächste Überholvorgang war noch spektakulärer. Im Bereich der Abfahrt nach Stavelot,
wo man sogar beim Überrunden nur dann an seinem Vordermann vorbeikommt, wenn
der brav mitspielt, griff sich Michael Villeneuve, als sei der ein verirrter
F3000-Pilot. 5,8 Sekunden Vorsprung brachte der neue Spitzenreiter aus dieser
denkwürdigen Runde mit, und er hatte längst noch nicht alle Register gezogen:
Bis zu zehn Sekunden nahm er seinen Verfolgern in der Anfangsphase pro Runde
ab!
Zum Ende der sechsten Runde verschätzte sich Villeneuve eingangs der
Buss-Stopp-Schikane und fuhr in die Boxengasse. Da noch keine Slicks
bereitlagen, wurden Intermediats montiert – ein Fehler, denn fünf Umläufe
später musste er erneut halten, da die Piste inzwischen Slicks erlaubte. An
Alesis Auto hingegen hatte sich der Skidblock am Unterboden seines Benettons
gelöst und störte die Aerodynamik im Bereich des Diffusors was ihn im Verlauf
des Rennens immer weiter zurück werfen sollte.
Das Rennen war schnell entschieden. In der neunten Runde lag Michael bereits 34
Sekunden vor Fisichella. Bald waren es 47 Sekunden. In der 14. Runde wechselte
er auf Trockenreifen und lag nach einem zweiten Stopp im Ziel noch immer 22,735
Sekunden vor dem Italiener.
Nach der Zieldurchfahrt war
Michael außer sich vor Freude: „Mein Kopf ist ganz leer – ich kann noch gar
nicht fassen, was passiert ist.“ Mit seinem vierten Sieg hatte er das
Saisonziel erreicht, das in Fiorano bei der Präsentation des Ferrari F310B
offiziell verkündet wurde. Daran erinnert, korrigierte Michael: „Für einige
andere mag das das Ziel gewesen sein. Meins war es nicht. Ich hoffe, noch ein
paar Siege hinzufügen zu können.“ Elf Punkte Vorsprung hatte er nun im
Titelkampf auf Villeneuve. Doch dieser Vorsprung sollte von Rennen zu Rennen
mehr und mehr dahin schmelzen. Mit nur einem Punkt Vorsprung reiste Michael zum
Saison-Finale… Jerez sollte für ihn zu einem Alptraum werden… der selbst heute
noch nachzuwirken vermag.
Quellen: FIA Saison Review 1997. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000.
9. Rennen der Saison '98
Der Große Preis von Großbritannien auf dem Silverstone Circuit in Silverstone
12. Juli 1998
Im dritten gemeinsamen Jahr
mit Ferrari gab es nur ein Saison-Ziel: Weltmeister werden! Der Gegner hatte sich
jedoch geändert. Nicht mehr Williams galt es zu schlagen sondern
McLaren-Mercedes mit Mika Häkkinen.
Doch von Beginn der Saison an lief man bei Ferrari einem technischen Rückstand
hinterher. Nur eins von sechs Rennen konnte man so gewinnen, während McLaren
den Rest gewann. Aber Anfang Juni gelang es Ferrari die Saison doch noch mal
spannend zu machen. Man gewann in Kanada, und auch in Frankreich war Michael
mit seinem Ferrari nicht zu schlagen. Es folgte Silverstone… Die Piste zählte zu den wenigen „weißen Flecken“ auf
der Formel 1 –Landkarte von Michael. Er hatte dort noch kein einziges Rennen
gewinnen können.
Der WM-Stand zur Halbzeit
der Saison: Häkkinen 50, Michael 44.
Im Training kam Michael
zunächst nur auf den siebten Platz. „Das Heck des Wagens war ein wenig nervös.
Doch ich weiß nicht, ob wir ein Problem haben, oder ob sich die
Windverhältnisse gegenüber unseren Testfahrten vor einer Woche geändert haben.“
Im Qualifikationstraining kam er auf den zweiten Platz, allerdings mit einem
Rückstand von einer halben Sekunde auf Häkkinen. Dennoch war er zufrieden: Ich
hätte ihm noch näher kommen können, weil ich in meiner letzten Runde gut
unterwegs war, doch dann blockierte ein Rad in Abbey und ich kam etwas weit
heraus. Ich glaube aber nicht, dass ich die Pole hätte fahren können.
Am Renntag war es kalt und
nass. Michael wurde fünfter im Warm-up. Im Verlauf der 240 Minuten, die laut
Reglement zwischen dem Ende des Warm-up und dem Start liegen mussten, schien
das schlechte Wetter sein Interesse an der Formel 1 verloren zu haben. Die Wolken
hingen unverändert tief, aber es regnete nicht mehr. Die Piste war nicht mehr nass,
sondern nur noch feucht, vereinzelte Pfützen glänzten im Bereich aller
Streckenabschnitte. Damit fiel die Wahl der Reifen unerwartet leicht: Ideale
Bedingungen für Intermediates.
Wer nun von Michael - die Pistenverhältnisse schienen ihm auf den Leib geschneidert
– eine Gala erwartete, wurde schnell enttäuscht. Die beiden Ferrari-Piloten
hatten auf eine weitere Wetterbesserung gesetzt und das Set-up ihrer Boliden
für trockenen Asphalt gewählt. Außerdem stellte sich bald heraus: Der
Goodyear-Intermediat war der vergleichbaren Bridgestone-Konstruktion
unterlegen. Nur vier Runden lang konnte Michael seinen zweiten Rang gegen
Coulthard verteidigen. Dann zog der Schotte an ihm vorbei. Hinter Michael
folgte nun Jean Alesi der einen grandiosen Start hingelegt hatte und von
Startplatz acht auf vier vorgefahren war.
Nach zehn Runden bot sich folgendes Bild: Hinter den beiden McLaren klaffte
eine Lücke von fünf Sekunden auf Michael. Alesi, Frentzen, Irvine, Villeneuve
und Hill folgten auf den nächsten Plätzen. Ab der 15. Runde wurden auf den
Tribünen die ersten Regenschirme aufgespannt – es nieselte. Wenig später waren
die ersten Boxenstopps fällig. Mit Ausnahme von Häkkinen, der den richtigen
Riecher hatte und Regenreifen wählte, blieben alle übrigen Spitzenfahrer den
Intermediates treu. Häkkinen mit Coulthard im Schlepptau, fünf Sekunden später Michael,
dann Irvine, dem bereits 24 Sekunden auf seinen Teamkollegen fehlten. So
präsentierte sich die neu bereifte Spitze, als aus dem Nieselregen
ausgewachsene Tropfen wurden. Aber verlass war auf das englische Wetter keiner.
Die Himmelsschleusen schlossen sich wieder. Coulthard konnte so bis auf eine
Sekunde auf Häkkinen aufschließen. Es hätte der Tag von DC werden können, auf
Intermediates kam ihm die abtrocknende Strecke entgegen. Doch erneut setzte
Regen ein und er schlidderte beim Überrunden von Fisichella in den Kies, aus
dem er sich nicht mehr befreien konnte. Coulthards Pech ließ Michael auf Rang zwei
aufrücken. Aber damit schien für Michael die Endstation erreicht zu sein.
Falsch bereift, hatte er gegen den finnischen Spitzenreiter nicht den Hauch
einer Chance – Mika baute seinen Vorsprung auf über 30 Sekunden aus. Die
Entscheidung schien gefallen, doch rückblickend hatte die Show noch gar nicht
richtig angefangen…
Die Serie der zweiten Stopps
stellte die Teamchefs nicht vor große Rätsel. Keine Frage: Regenreifen mussten
her.
Nur zehn Boliden befanden sich noch auf der tückischen Piste, als sich die
Rennleitung nach 43 Umläufen entschloss, das Safety-car einzusetzen. Es regnete
derart stark, dass die verantwortlichen keine Alternative sahen. Auch Häkkinen
hatte sich derweil einmal von der Strecke gedreht, seinen Frontflügel dabei
leicht beschädigt und etwas von seinem Vorsprung eingebüßt. Die Tage, da den
Piloten das Anpassen des Tempos an die Witterungsbedingungen zugetraut wurde,
gehörten längst der Vergangenheit an. Häkkinen verlor so auch den Rest seines
Vorsprungs. Kurz bevor das Safety-car auf die Strecke kam überrundete Michael
Alexander Wurz. Scheinbar war es ein harmloses Routine-Manöver, aber dieser
Überholvorgang sollte schon bald für gewaltige Dramatik sorgen.
Als das Safety-car nach sechs Runden endlich beabsichtigte hereinzukommen, griff
Häkkinen tief in die Trickkiste: Der Finne drosselte seine Geschwindigkeit
zunächst gewaltig und stieg dann – ausgangs Woodcote – kräftig aufs Gas.
Michael schien der Dumme zu sein, da zwischen ihm noch der Überrundete
Fisichella im Benetton lag und dieser die Situation nicht ansatzweise begriff. Zwischen
Silber und Himmelblau klaffte beim Restart eine ungewöhnlich große Lücke.
Aber Michael machte mit Fisichella kurzen Prozess,überholte diesen noch vor der ersten Kurve und
startete dann seine Aufholjagt auf Häkkinen. Nässegrad und Pneus harmonierten
endlich auch bei Michael perfekt. Auf der anderen Seite hatte nun der Finne
Probleme… Bei der nächsten Passage von Becketts untersteuerte sein Bolide wohl
auch aufgrund des beschädigten Frontflügels zu stark und rodelte von der Bahn.
Michael ließ sich daraufhin natürlich nicht zweimal bitten, nutzte die Chance
und ging in Front, während hinter ihm Häkkinen den Weg zurück auf die Piste
fand.
Dann platzte die Bombe. Es sickert die Nachricht durch, Michael habe als
Gelbsünder eine nicht näher definierte Zeitstrafe bekommen. Damit reagierten
die Stewards viel zu spät. Artikel 57 der Regeln spielte hier eine wichtige
Rolle. In der Sektion a wurde aufgeführt, dass die Stewards einen
Teamverantwortlichen innerhalb von 25 Minuten nach dem Vergehen benachrichtigen
müssten. Michaels Vergehen fand um 15:15
Uhr statt und um 15:43 Uhr nahm Ferrari das Urteil zur Kenntnis. In Artikel 57 a war auch festgelegt, dass die
Bekanntgabe der Strafe auf den Zeitenmonitoren aller Teams verzeichnet sein
musste. Auch das unterblieb. Jean Todt wurde nachher mit den Worten zitiert,
dass der Funktionär, der die Benachrichtigung über die Strafe brachte, nicht in
der Lage gewesen sei, zu erklären, auf welche Regel man sich beziehe. Was weitere
Verwirrung verursachte. Eine Zehn-Sekunden-Stop-and-Go- Strafe würde Häkkinen
den Sieg schenken. Würde man die Zehn Sekunden einfach auf das Gesamtergebnis
addieren, dann würde dies kaum einen Unterschied machen. Letztlich blieb im
Dunkeln um was für eine Strafe es sich gehandelt hatte. Drei Runden waren noch
zu fahren… Brawn sprach in aller Deutlichkeit mit den Stewards. James Allen,
Reporter beim TV Sender ITV, berichtete, dass „Ross Brawn seinen Kopf
schüttelte, mit den Händen gestikulierte und den Stewards erklärte, dass sie sich
im Unrecht befänden.“ Todt erklärte, dass man sich angesichts der zweifelhaften
Situation dazu entschlossen habe, Michael an die Box zu holen. Am Ende der 59.
Runde teilte man ihm mit, dass er sich in der nächsten Runde zum Absitzen
seiner Strafe an der Box einzufinden habe. In der 60. und letzten Runde legte
Michael noch einmal einen kurzen Zwischenprint ein – schließlich kam es auf
jede Sekunde an. Dann bog er mit einem Vorsprung von 23,414 ab in die
Boxengasse. Die Ferrari-Box befand sich am Ende der Boxengasse und hinter einer
virtuellen Verlängerung der Ziellinie. Michael überquerte diese Linie bevor
Häkkinen über die eigentliche Ziellinie fuhr. Er hatte das Rennen gewonnen,
oder etwa nicht? Niemand wusste es genau und am wenigsten Michael, der, nachdem
er seine Strafe abgesessen hatte, noch einmal auf die Piste ging, um auf der
sicheren Seite zu sein. Nachdem alles vorüber war, stellt Häkkinen seinen McLaren
im Parc Ferme ab und blieb erst einmal in seinem Wagen sitzen. Er hatte keine
Ahnung was geschehen war. Neben ihm umarmte Michael seine Mechaniker, die laut
über diesen Sieg jubelten.
Auch Kurios war: Weder Wurz noch Michael konnten sich nach dem Rennen an den
Mann mit dem gelben Tuch erinnern. „Ehrlich, ich habe keine Ahnung von alledem,
was da passiert ist, weil es ein ziemliches Chaos war. Ich war glücklich,
überhaupt auf der Strecke zu bleiben, und ich wusste, dass Michael hinter mir
war. Deshalb wurde ich sogar langsamer, damit er mich überholen konnte. Ich
konzentrierte mich auf mein Fahren. Ich sah in den Spiegel und bemerkte ihn.
Ich lieferte ihm keinen Kampf, sonst hätte ich ja nicht das getan, was ich
gemacht habe. Und so hat er mich überholt. Ich war nicht wirklich langsam, aber
ich fuhr auch keine Renngeschwindigkeit. Ich hatte Probleme und wollte hinter
ihm fahren, um die trockene Linie seines Wagens zu nutzen. Das war meine Idee.
Ich sah keine gelbe Flagge. Ich war überrascht, dass Michael bestraft wurde.
Nach dem Rennen kam Jean Todt zu mir und fragte mich, ob ich eine gelbe Flagge
gesehen hätte. Ich hatte es wirklich nicht.“ Michael: „Ich erinnere mich nicht,
wann ich ihn überholt habe. Weil du überholst irgendwen, aber du siehst nicht
viel in dem Spray. Was auch der Grund war warum ich keine Flaggen gesehen habe.
Wenn du dir vorstellst, du folgst jemandem so dicht, dann bist du froh die
Strecke zu sehen. Das ist alles.“
Gegen den „Trick“ von Ferrari
legte McLaren einen Protest ein, der 16 Tage später abgewiesen wurde, weil die
Schuld an dem Desaster alleine bei den Funktionären lag. Die machten an jenem
denkwürdigen 12. Juli alles falsch, was man falsch machen konnte.
Michaels erster Sieg in Silverstone sollte also auf ganz besondere Art und Weise im Gedächtnis bleiben.
Quellen: FIA Saison Review 1998. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000.
12. Rennen der Saison '98
Der Große Preis von Ungarn auf dem Hungaroring in Budapest
16. August 1998
Die Rennen nach Silverstone
verliefen alles andere als gut. Zwar konnte Michael in Österreich nach einem
Fahrfehler noch Platz 3 retten (dank Schützenhilfe von Irvine) aber in
Hockenheim war er mit seinem Ferrari chancenlos. Mehr als ein fünfter Platz war
nicht möglich. Mit 16 WM-Punkten lag er nun wieder hinter Häkkinen und es waren
nur noch fünf Rennen zu fahren. Es musste unbedingt etwas geschehen wenn
Michael die WM noch zu seinen Gunsten drehen wollte.
Donnerstags kam es während
der offiziellen Pressekonferenz zu einer Begegnung zwischen Michael und
Häkkinen. Artig reichten sich die beiden sogar lächelnd die Hände. „Die WM ist
noch offen“, verkündete Michael selbstbewusst, „hier fällt weder die
Entscheidung noch eine Vorentscheidung!“ Auch Mika blieb trotz
Außentemperaturen von deutlich 30 Grad cool: „Dank der beiden Siege innerhalb
von nur acht Tagen ist unser Team unglaublich beflügelt.“ Kaum jemand, er
selbst sicher auch nicht, konnte sich vorstellen, dass die silberne „Supertruppe“
noch ernsthaft in Gefahr geraten könnte.
Freitags stellten die
Gastgeber die Bandbreite des Sommerwetters der Region unter Beweis: Es regnete.
Auf der schmierigen glatten Piste tanzten die Boliden Walzer, auch Champion Jacques
Villeneuve leistete sich einen Ausrutscher, seine Erklärung: „Ich hatte
vergessen wo die Kurve ist…“
Jean Alesi hatte dagegen die Ruhe weg und fand sogar noch Zeit für ein dickes
Lob für Michael: „Keine Frage, der ist jetzt noch stärker als Ayrton Senna.“
Hinter den beiden McLaren Piloten beendete Michael das Freitags-Training als
Dritter. „Wir sind in einer besseren Verfassung als in Hockenheim. Der
Rückstand auf die Führenden ist nicht zu groß.“
Das Qualifikationstraining beendete er wiederum als Dritter hinter den beiden
McLaren. „Okay, heute waren die schneller, aber das Rennen ist doch eine völlig
andere Story. Mit der richtigen Strategie haben wir im Rennen eine Chance, und
ich glaube, dass wir das Beste daraus machen werden.“ Gespielte Zuversicht –
das berühmte Pfeifen im dunklen Walde – war das nicht. „Ich nahm die härteren
Goodyears“, erklärte Michael, „weil hier kein großer Unterschied zu den weichen
besteht. Natürlich war das im Qualifying ein Nachteil, morgen aber wird es ein
Vorteil sein.“ McLaren wählte hingegen die weichen Pneus, um die erste
Startreihe erobern zu können. Coulthard: „Auch bei Bridgestone sind hier die Unterschiede
zwischen weich und hart gering. Aber ich glaube, auf den Harten hätte es hier
nicht gereicht, schneller als Michael zu fahren.“
Pünktlich liefen die
Startvorbereitungen an. Michael war unverändert zuversichtlich: „Der dritte
Startplatz ist besser als der zweite, hier stehe ich auf der Ideallinie.
Coulthard hat weniger Grip.“ Als aber die fünf Ampellichter verlöschten konnte
er keinen Platz gutmachen: Silber behielt auf breiter Front die Oberhand vor
Michael, dem Irvine folgte. Die Positionen waren damit zunächst bezogen.
Ferrari und McLaren waren allerdings beide mit einer Zwei-Stopp-Strategie
unterwegs. Ging man von den bisherigen Erfahrungen aus, dann würde die
Reihenfolge bis zum Ende so bleiben. Überholvorgänge gab es dann auch Erwartung
gemäß erst einmal keine. Es galt die Parole: Abwarten, Lauern, die Nerven
behalten. In Runde 13 war allerdings das Ende für Irvine gekommen, sein
Getriebe wollte nicht mehr. Michaels F300 hingegen lief wie ein Uhrwerk. Sein
Rückstand auf Häkkinen betrug in der 14. Runde 3,649 Sekunden, dem Coulthard mit 2,426
Sekunden folgte.
24 Runden waren abgespult, da bot sich an der Spitze noch immer in etwa das
gleiche Bild: Häkkinen 3,2 Sekunden vor seinem Teamkollegen. Michael Abstand
betrug zum Finnen 4,4 Sekunden. Eine Runde später kam Michael an die Box, kurz
darauf auch die Silberpfeile – die Reihenfolge blieb unverändert. Aber nun kam
Bewegung ins Spiel. Das Rennen entwickelte sich zu einem Krimi. Michael hing
nun hinter Villeneuve der noch nicht an die Box gefahren war, auf Platz vier
fest. Die McLaren schienen das Rennen unter sich zu entscheiden.
Nun schlug die Stunde von Ross Brawn. Er stellte Michaels Strategie von
zwei auf drei Stopps um. Als man dies Michael per Funk mitteilte, meinte er
nur, „ich bin nicht sicher, ob das funktioniert“. Brawn gestand ein, dass die
neue Strategie aggressiv war, doch „wir hatten nichts zu verlieren.“ Villeneuve
ging in der 31. Runde an die Box, sodass Michael endlich Jagd auf die McLaren
machen konnte. Auf Anhieb fuhr er die schnellste Runde. Coulthard lag bald 2,2
Sekunden vor ihm, Häkkinen 6,1.
Zur Halbzeit des Rennens hatte Michael Coulthard direkt hinter Häkkinen
getrieben, sodass die Drei nur noch ganze drei Sekunden auseinander lagen. In
Runde 43 kam Michael dann zum zweiten Mal an die Box, wo er 6,8 Sekunden stand.
Coulthard stand eine Runde später bei seinen Mechanikern und verlor während
dieses Aufenthaltes seinen zweiten Platz an Michael. Vor seinem Stopp war
Michael Zeiten um 1:21 Minuten gefahren. Nun erreichte er in Runde 45 die erste
Zeit um 1:20. In der 46. Runde fuhr er 1:19,594 Minuten. Könnte Häkkinen, der
einen Vorsprung von 23 Sekunden hatte, den ersten Platz halten? Er konnte es nicht. Als Michael die
Zielgerade herunter flog, hatte der Finne nicht einmal die Hälfte der
Boxengasse hinter sich gebracht. Die Führung wechselte. Michaels Boxenstopp war
einfach die nötige Zeit kürzer gewesen, doch er musste ja noch einmal an die
Box.
Im Ferrari-Funk rauschte es, und Michael vernahm jene Worte, die schon bald
darauf historisch werden sollten. „Du hast 19 Runden, um einen Vorsprung von 25
Sekunden aufzubauen.“ Michaels Antwort: „Vielen Dank.“ Er beschleunigte so hart
wie möglich und war kurz davor, eine der nachhaltigsten Tempoperioden zu
realisieren, die man bisher im Grand Prix Sport erlebt hatte. Der Kampf um den
Sieg hatte begonnen.
Pro Runde nahm Michael Häkkinen nun zwischen einer und zwei Sekunden ab. In
Runde 52 kam er allerdings vor der Zielgeraden von der Piste ab, schaffte es
jedoch mit verschmierten Reifen wieder auf die Strecke zurück. „Ich war
gestresst, vielleicht lenkte auch der Sprechfunk ab.“ Denn Michael hatte in der
Hitze des Gefechtes die Übersicht verloren und war beunruhigt, da er glaubte,
hinter Häkkinen zu liegen. „Was ist los?“, fragte er seine Box kurz vor dem
Ausritt, „er fährt mir weg, obwohl ich Boden gutmachen muss!“ Ross Brawn funkte
zurück: „Keine Panik, das erklär ich dir, wenn du auf der Geraden bist.“ Unterm
Strich bezahlte er den Ausflug neben die Piste mit fünf Sekunden. Parallel verrieten
die Uhren seit Runde 48, dass Häkkinens Bolide kränkelte. Der Finne fuhr nur
noch 22er-Zeiten. Außerdem griff Coulthard seinen Teamkollegen nicht an. Viel
zu spät, erst in Runde 52, erlaubte Dennis dem Schotten, auf Platz zwei
vorzustoßen.
Als Michael am Ende der 52. Runde über die Ziellinie fuhr, hatte er einen Vorsprung
von 10,897 Sekunden auf Coulthard. Michael zwang nun den Ferrari durch die
Kurven. Immer wieder stiegen kleine Qualmwolken auf, wenn die Bremsen wieder einmal besonders strapaziert wurden.
Über den ganzen Kurs zeigte er seine ganze Brillianz. Ab Runde 58 nahm Michael
das Messer zwischen die Zähne. In der 60. Runde fuhr er die schnellste
Rennrunde. Nun konnte man das Ergebnis dieses Spurts sehen. Der Wagen tanzte
über die Strecke und wer genau hinsah, konnte erkennen, wie sehr Michael im
Cockpit kämpfte. Brawn war begeistert. Bis zu seinem letzten Stopp nach 62
Umläufen drehte er kontinuierlich tiefe 19er-Zeiten. Michael stand 7,7 Sekunden
an der Box, und als er wieder auf die
Strecke zurückkehrte, war Coulthard am Horizont erkennbar – ganz weit hinten am
Horizont. Fünf Sekunden trennten die beiden nun. In den verbleibenden 15 Runden
fuhr Michael fehlerfrei und hatte am Ende einen Vorsprung von zehn Sekunden auf
den Schotten, der sich mit einem defekten Hinterreifen herumschlug. Häkkinen
kam am Ende sogar nur noch auf Platz sechs ins Ziel.
Überglücklich sprach Michael anschließend von einem seiner schönsten Formel 1 Erfolge: „Heute ging für mich
ein Traum in Erfüllung. Jetzt ist der Titelkampf wieder offen, und das nächste
Rennen ist in Spa, auf meinem Lieblingskurs.“ Bei McLaren hingegen ließ Ron
Dennis den Kopf hängen. „Also für dieses Ergebnis haben wir nicht seit Freitag geschuftet.
Aber wenn man die kleinste Schwäche zeigt, dann schlägt Schumacher gnadenlos
zu.“
Noch ein Rennen hätte es
1998 in diese Liste schaffen können. Spa… Nachdem das Rennen wegen einem
Massencrash beim Start noch einmal gestartet werden musste war Michael im Regen
nicht zu halten. Über fünf Sekunden pro Runde war er schneller als der zweit
platzierte Hill. Der Sieg schien ihm sicher – bis er in Runde 24 auf Coulthard
auflief, der zur Überrundung anstand. Michael war unterwegs in Richtung
Desaster. Trotz geschwenkter blauer Flaggen ließ der McLaren Pilot den Ferrari
nicht passieren. Jean Todt intervenierte mündlich am McLaren-Kommandostand an
der Boxenmauer. Michael gab unmissverständliche Handzeichen, übte sich aber in
Geduld und attackierte nicht. Auf der Anfahrt zur Pouhon-Kurve nahm Coulthard –
man war in Runde 26 – auf der Ideallinie fahrend Gas weg und drosselte
damit sein Tempo ruckartig auf 170 km/h, Michael bewegte seinen Ferrari mit gut
220 km/h. Als die silberne Straßensperre vor ihm auftauchte, riss er seinen
Wagen nach links. Zu spät, das rechte Vorderrad brach bei der unvermeidbaren Kollision
ab. Das Rennen war für Michael beendet. Noch nie vorher und auch nicht mehr
danach hat man Michael je wütender erlebt. Es hätte die WM Führung werden
können, doch so fiel wahrscheinlich an dieser Stelle die WM Entscheidung gegen ihn aus, auch
wenn diese bis zum letzten Rennen offen bleiben sollte, dank eines Sieges von
Michael in Monza.
Erst fünf Jahre später konnte Coulthard auch öffentlich eingestehen, dass er
damals in Spa einen Fehler gemacht hatte, in dem er auf der Ideallinie vom Gas
gegangen war… Vergessen hat Michael die Geschichte nie, auch wenn er
heute mittlerweile Scherze drüber machen kann.
Quellen: FIA Saison Review 1998. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000.
15. Rennen der Saison '99
Der Große Preis von Malaysia auf dem Sepang International Circuit in Kuala Lumpur
17. Oktober 1999
Es hätte sein Jahr werden
können. Doch der Unfall in Silverstone begrub alle Titelambitionen von Michael
in einem Reifenstapel…
Viel wurde spekuliert über
sein Comeback: Wann würde er wieder in den Titelkampf eingreifen können, würde
er Irvine unterstützen müssen? Es hing sogar die Frage im Raum ob er überhaupt
zurück kommen wolle. Einige Medien fragten sogar wozu man einen so
hochbezahlten/überbezahlten Piloten überhaupt noch brauchte, da Irvine nun
drauf und dran war den Titel zu holen. Ohne Michael fehlte Ferrari allerdings das
Zugpferd und das merkte man immer mehr gegen Ende der Saison und so schlug die
Stimmung wieder um und man sehnte sich ein Comeback von ihm herbei. Doch als
dieses sich immer weiter verzögerte, wurden auch wieder viele böse Stimmen laut
die Michael Egoismus vorwarfen. Er wolle Irvine ja schließlich gar nicht zum
Titel verhelfen.
Michael ließ sich von alledem nicht ablenken, hörte auf seine Ärzte und als die
wieder grünes Licht gaben und auch er selber sich bereit genug dafür fühlte,
erklärte Ferrari am Freitag den 8. Oktober „dass Michael Schumacher sowohl am
Grand Prix von Malaysia als auch am Grand Prix von Japan teilnehmen wird. Nach
drei Tagen intensiver Testfahrten in Mugello und Fiorano stellte Michael eine
bedeutende Verbesserung in seinem physischen Zustand fest und hat sich daher
entschlossen, an diesen beiden wichtigen Rennen am Ende der Saison teilzunehmen,
um Ferrari optimal im Kampf um die Weltmeisterschaft zu unterstützen und damit
auch die Wünsche des Teams und der Fans zu erfüllen.“ Anfang der Woche hatte
sich Michael allerdings bei besagten Testfahrten nach 15 Runden von der Strecke
gedreht, dabei eine Barriere touchiert und den Wagen leicht beschädigt. Er
verließ die Unfallstelle ohne Unterstützung und übernahm einen anderen Wagen –
doch er gab zu, dass er Angst gehabt hatte. „Meine Erinnerung wanderte zurück
zu ganz bestimmten schlechten Dingen. Es ist nicht schön, in diesem Moment
erschrocken zu werden.“ Vor den abschließenden Testfahrten hatte Corinna eine „starke
Zurückhaltung“ über sein Comeback zu Protokoll gegeben. Doch, so Michael, „als
sie mich nach meiner Rückkehr von den Tests in Mugello sah, reagierte sie
intelligent. Zum ersten Mal seit langem sah sie ein Lächeln auf meinem Gesicht.“
Bevor es für Michael auch
ein offizielles „Go“ geben konnte musste er zunächst in Malaysia beweisen, dass
er ausreichend fit war, um einen Formel 1 Boliden zu steuern und innerhalb von
Sekunden das Cockpit verlassen konnte. Er schaffte es. Professor Watkins
erklärte, dass „er sich bester Gesundheit erfreue. Er machte einen kleinen
Hüpfer für uns“. Nach einer Fußverletzung verlangte der Professor von seinen
Probanden immer auch, dass sie ein wenig auf und ab sprangen.
Am Mittwoch stellte er sich dann der großen Meute internationaler Journalisten.
Er wirkte noch etwas müde und angespannt und sagte, dass seine Fitness noch
nicht so gut wie früher sei aber: „Ich fühle, dass ich das Rennen gewinnen
kann. Ich fühle mich sehr gut im inneren. In Bezug
auf die Leistung des Autos und
mir, glaube ich, dass wir eine
gute Möglichkeit haben, hier zu gewinnen und um den Konstrukteurs-und Fahrer-Titel für Eddie in
den letzten paar Rennen zu kämpfen.“ Über Irvine
meinte er: „In erster Linie fahre ich für das Team und nicht für Eddies
Interessen. Die einzige Art und Weise, wie ich ihm helfen kann, ist an die
Spitze zu gehen und ihn dann überholen zu lassen. Wenn das nicht funktionieren
sollte, muss er selbst zurechtkommen.“
Sein Comeback nach
98-tägiger Verletzungspause gestaltete der zweimalige Weltmeister zu einem Triumphzug
sondergleichen. Mehr noch: Er watschte seine versammelte Konkurrenz mit einer
Überlegenheit ab, dass es selbst McLaren-Teamchef Ron Dennis „die Tränen in die
Augen trieb“.
Am Freitag lag Michael allerdings noch an fünfter Position. Alle waren damit
beschäftigt die neue Strecke kennen zu lernen. „Ich bin glücklich, dass ich
absolut keine Schmerzen habe und mich daher vollkommen auf mein Fahren konzentrieren
konnte.“
Am Samstag sicherte er sich hingegen die Pole Position in beeindruckender
Manier. Im letzten Anlauf, 15 Minuten vor Ende des Qualifyings, verbesserte
sich Michael um mehr als 1,1 Sekunden und verwies seinen Teamkollegen um eine
Sekunde auf den zweiten Rang. Der Abstand zu den McLaren-Piloten David
Coulthard und Mika Häkkinen betrug sogar noch mehr. Auf seine letzte schnelle
Runde verzichtete er. „Das war nicht nur für mich, sondern auch für
das Team ein toller Erfolg“, lachte Michael mit einem breiten Grinsen im
Gesicht. „Die haben in den letzten Wochen unter so großem Druck der Medien gestanden.
Jetzt konnten wir die wahre Leistungsfähigkeit des Ferrari unter Beweis
stellen. Ich habe es ja immer gesagt, aber die Leute wollten mir nicht glauben.
So einen großen Vorsprung auf die McLaren hatten wir noch nie.“
Auch im Rennen führte
Michael seine Mitstreiter vor wie Schulbuben: Wie von der Tarantel gestochen
übernahm er von der Pole-Position aus die Führung und knöpfte dem übrigen
Starterfeld gut eine Sekunde pro Runde ab. Und wer gehofft hatte, das Ferrari-Ass
sei auf einer Zweistoppstrategie und daher mit leichtem Auto unterwegs, der sah
sich im weiteren Verlauf des Großen Preises von Malaysia eines Besseren belehrt…
In Runde drei unterbrach Michael die beeindruckende Demonstration seiner
fahrerischen Überlegenheit vorläufig und wendete sich seiner eigentlichen
Aufgabe zu: Er gewährte seinem Teamkollegen Eddie Irvine die geforderte
Unterstützung im WM-Titelkampf, ließ sich zurückfallen und den Nordiren
passieren. Während der sich absetzen konnte, unterlief Michael der einzige
Fehler des Wochenendes: Wie ein Habicht stieß Coulthard – der mit einem
leichteren McLaren unterwegs war – in Turn zwei neben den Ferrari. „Das gehörte
nicht zu meinem Plan“, staunte Michael später. „Ich hatte einen Angriff von
David an dieser Stelle nicht erwartet. Er konnte mich überraschen – vielleicht lag
das an meiner langen Abwesenheit.“ Ganz ohne Späne ging die mutige Hobelei
jedoch nicht aus: Beide Autos berührten sich. „Mein Frontflügel wurde
beschädigt, deswegen untersteuerte mein Wagen später stärker“, so Michael
weiter.
Während fortan Mika Häkkinen im Heck des drittplatzierten Ferrari zu verzweifeln
begann, eröffnete vorne Coulthard die
Jagd auf Irvine. Weit kam der Schotte jedoch nicht mehr. In Runde 15 rollte
sein McLaren wegen kollabierendem Benzindrucks aus. Häkkinens Verzweiflung
indes stieg von Runde zu Runde: Hilflos musste er mit ansehen, wie Michael ihn
gezielt blockte. „Total frustrierend. Michael fuhr in den schnellen Kurven nicht
gleichmäßig schnell. Weil er mal eher, mal später bremste, musste ich stets
aufpassen, dass ich ihm nicht ins Heck rutsche“, stöhnte der völlig erschöpfte
Finne, der während des Rennens wütend gestikulierte, später. „Aber ich kann
Ferrari nichts vorwerfen – in einer vergleichbaren Situation würden wir wohl
ähnlich handeln.“ Eine Sicht der Dinge, die sein Teamchef Ron Dennis nicht
teilte: „Nein das kommt für uns nicht in Frage. Wir beschweren uns zwar nicht
öffentlich, aber ich halte diese Vorgehensweise nicht für sehr sportlich.“ In
Indianapolis ein Jahr später, tat man dann aber auch nichts anderes bei McLaren…
Die Ferrari-Taktik sorgte auf jeden Fall dafür, dass Eddie Irvine auch nach den
ersten Boxenstopps in Führung blieb. Obwohl sich Michael später über abbauende
Reifen und starkes Untersteuern beklagte, stellte er vor seinem eigenen,
einzigen Tankhalt in Runde 28 mit den beiden schnellsten Rennrunden des
gesamten Wochenendes sicher, dass er vor seinem skandinavischen Konkurrenten
auf die Strecke zurückkehren würde – obwohl er angesichts der höheren
Spritmenge länger in der Box stehen musste.
In Runde 41 läutete dann Irvine die zweite Runde der Boxenstopps unter den Führenden
ein. Er kehrte auf Position drei wieder auf die Rennstrecke zurück. Michael
ging so erneut in Führung. Häkkinen wiederfuhr derweil noch größeres Ungemach:
Als er neun Runden vor Schluss seinen abschließenden Tankvorgang beendet hatte,
musste er sich hinter dem wie beflügelt fahrenden Herbert einreihen. Und der
kleine Brite verteidigte seine dritte Position wie ein Löwe. Erst in der drittletzten Runde unterlief ihm
in Turn Neun ein kleiner Fehler. „Johnny fuhr die Kurve etwas zu weit“,
rekapitulierte Häkkinen. „Dadurch verlor er seinen Schwung, ich war vorbei.“
Eine Runde zuvor hatte Michael Irvine zum zweiten Mal passieren lassen. Der
Doppelsieg war nicht mehr zu verhindern gewesen.
Michael hatte das ganze Rennen über die Wagen vor und hinter sich kontrolliert
und so den ganzen Grand Prix in den ersten Reihen gestaltet. Martin Brundle,
der das Rennen fürs britische Fernsehen kommentierte, meinte: „Schumacher
verbrachte den Nachmittag damit, so langsam wie möglich zu fahren und gab
trotzdem die Führung zweimal ab.“ Auch Irvine fand nachher in der
Pressekonferenz nur lobende Worte: „Ich weiß nicht was wir mit ihm machen
sollen. Er ist einfach deprimierend. Er ist nicht nur die beste Nummer eins,
sondern auch die beste Nummer zwei.“
Auch wenn Eddie Irvine mit
seinem vierten Grand Prix-Gewinn seiner Karriere seine WM-Chancen gegenüber dem
Titelverteidiger deutlich erhöhen konnte: Als moralischer Sieger des Wochenendes
stand Michael fest. Das Siegerfoto mag dazu als letzter Beweis dienen: Während
Irvine völlig durchgeschwitzt und mit hochrotem Kopf auf dem Podest stand, ein
völlig erschöpfter Häkkinen sogar dem Zusammenbruch nahe war, wirkte Michael trotz
der tropischen Bedingungen fit und frisch wie vor dem Rennen.
Corinna sagte nach dem Rennen in Malaysia: „Ich weiß jetzt, dass ich ihn wieder
an die Formel 1 verloren habe.“
Das Theater um die
regelwidrigen Windabweiser des Ferrari, die Disqualifikation und deren Rücknahme
eine Woche später, ließ Michael kalt. Er verhielt sich als wolle er sagen: „Ich
habe meinen Teil getan.“ In Japan verhalf er seinem Team zur Konstrukteurs-Weltmeisterschaft.
Irvine zum Sieger der Fahrer-Wertung zu machen, gelang nicht.
Quellen: FIA Saison Review 1999. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000. Formel 1 Saison '99, Neckarsulm 1999. Karin Sturm "Michael Schumacher - Ein Leben für die Formel 1", 6. aktualisierte und erweiterte Neuauflage 2010.
6. Rennen der Saison '00
Der Große Preis von Europa auf dem Nürburgring
21. Mai 2000
Zum ersten Mal seit 1997 kam
Michael wieder als WM-Führender nach Deutschland. Drei Siege konnte er am
Anfang der Saison einfahren und endlich hatte er einen Ferrari, der dem Boliden
der Konkurrenz von Beginn an ebenbürtig war.
Das Hauptthema vor dem
Rennen auf dem Nürburgring war in den deutschen Medien immer noch der „Große
Bruderzoff“. Hintergrund war ein Manöver Michaels beim Spanien Grand Prix
gewesen bei dem er trotz Schwierigkeiten mit seinen Reifen seine Position
gegenüber Ralf so hart verteidigt hatte, dass am Ende sogar noch Michaels Teamkolleg
Rubens Barrichello an beiden vorbeigehen konnte. Nach dem Rennen war Ralf stock
sauer, aber die Versöhnung erfolgte noch vor Ort bei einer dicken Friedenszigarre
und einem Versöhnungsbier auf neutralem Grund im Zelt von Promiwirt Karl-Heinz
Zimmermann.
Am Mittwoch vor dem Rennen beruhigte man auch noch mal nachtrüglich die Medien:
„Da gibt’s überhaupt kein Problem, wir kämpfen gerne gegeneinander. In
Barcelona, das war doch ein faires Duell, ein gutes und enges Überholmanöver.
Keine Panik! Wir bleiben beide in der Formel 1, und es wird noch weitere Duelle
zwischen uns geben“, beschwichtigte Ralf die Gemüter. Und auch Michael
erklärte: „Keiner kann dem anderen auf der Rennstrecke Geschenke machen.“ Man
durfte sich also auch in Zukunft auf harte und interessante Duelle freuen.
Ein weiteres Thema war das Wetter in der Eifel. Das neue Mai-Datum für den
WM-Lauf auf der GP-Piste des Nürburgrings rief schon im Vorfeld die Wetter Pessimisten
auf den Plan: Von Frost, Schnee und eiskalten Winden war die Rede. Die gemäßigte
Fraktion sprach zumindest von niedrigen Temperaturen und Regen.
Die Eifel blieb ihrem Ruf als unberechenbares Wetterloch treu. Schwitzte
Deutschland in den Tagen und Wochen vor dem Grand Prix von Europa noch
überraschender Weise wegen dem sonnenreichsten Mai seit 1932 bei einer
Hitzeperiode, so übernahm pünktlich zum Formel 1 Rennen das gewohnte
Regen-Sonne-Spiel wieder die Regie über das heimtückische Mittelgebirge.
Ging das freitägliche freie Training – das Michael mit mehr als zwei
Zehntelsekunden Vorsprung dominierte – noch unter bedecktem Himmel, aber auf
trockener Straße über die Bühne, so entwickelte sich einen Tag später das
Qualifying bei nachlassendem und wiedereinsetzendem Regen zum Pokerspiel. Um
mehr als 2,5 Sekunden verbesserte sich die schnellste Rundenzeit zwischen der
sechsten und 13. Minute des Abschlusstrainings. Auf der Piste herrschte ein
ungewöhnliches Gedränge. Niemand wollte den optimalen Zeitpunkt für seinen
Versuch verpassen. Letztlich war es der wiedererstarkte Coulthard, der die
besseren Karten in der Hand hatte: Pünktlich um 13:26 Uhr legte er eine
Rundenzeit von 1:17,529 Minuten vor – dann setzte der Regen ein. Michael musste
sich mit Platz zwei begnügen und war enttäuscht: „Natürlich hätte ich es
schaffen können, aber zweimal unterliefen mir in der Dunlopkehre kleine Fehler.
Ein Drama ist der Ausgang des Qualifyings für mich allerdings nicht. Ich habe
in diesem Jahr schon drei Rennen gewonnen, ohne von der Pole zu starten.“ Ein Trost
für Michael war sicher auch, dass sein schärfster WM-Rivale trotzdem noch
hinter ihm starten würde. Häkkinen wurde nur dritter.
Im Warm-up am Sonntagmorgen bewies Michael, dass ihn die Qualifying Niederlage
nicht aus dem Konzept gebracht hatte: Vor Häkkinen, Frentzen, Barrichello und
Verstappen setzte er sich während der halbstündigen Generalprobe durch. Mit
Spannung wurde anschließend erwartet, ob
DC die Pole beim Start nutzen könne, oder ob der Schotte vom zweitplatzierten
Michael ausbeschleunigt würde.
Als die roten Ampeln
verlöschten, kam alles ganz anders. Häkkinen, den niemand so recht auf der
Liste hatte, gelang ein Meisterstück. Mit einem wahren Blitzstart glich er die
Schmach des Vortages wieder aus und ließ sowohl Coulthard als auch Michael alt
aussehen. Bei seinem mutigen Manöver berührten sich jedoch die beiden Autos von
Michael und Mika. „Er erwischte offensichtlich einen Guten Start“, schilderte
Michael später die Situation aus seiner Sicht. „Doch dann zog er so scharf auf
die rechte Seite herüber, dass er mich überraschte. Sein rechtes Hinterrad
touchierte völlig unnötig mein Vorderrad. Ich denke, Mika weiß das auch.“ Häkkinen
der zuhörte, schaute gelangweilt gen Himmel, reagierte jedoch defensiv: „Es war
wirklich ungemütlich. Ich konnte nicht abschätzen, wie nah Michael war. Aber
ich musste auf der Innenseite durchbrechen – es gab keine andere Wahl. Schade,
dass es passierte, und hoffentlich wird Ähnliches nicht mehr vorkommen.“
Mika und Michael setzten sich unverzüglich an die Spitze. Schon nach fünf Runden
betrug der Abstand zu den dahinter liegenden Coulthard, Barrichello und Jaques
Villeneuve – der mit einem Riesensatz vier Plätze gutmachte – bereits 2,6
Sekunden. Dann setzte leichter Regen ein. Das Rennen versprach Spannung…
So lange der Asphalt nur feucht blieb, vermochte Häkkinen seinen halbsekündigen
Vorsprung auf den drängelnden Ferrari-Piloten zu verteidigen. Doch als es
wirklich nass wurde, schlug Michaels Stunde: Er saugte sich in der elften Runde
im Windschatten ganz dicht an Mikas McLaren heran, beide Autos schienen fast zu
einem einzigen zu verschmelzen. Jeder am TV Bildschirm wusste, gleich würde
Michael ein Überholmanöver starten. Leichtfüßig bremste er den Silberpfeil vor
dem Veedol-Z aus und ging vorbei. Mika unternahm keinen Versuch der Gegenwehr.
Es wäre wohl auch Sinnlos gewesen.
Wie entfesselt stürmte Michael davon: Zu feucht für Trockenreifen und zu
trocken für Regenpneus – das waren exakt jene Bedingungen, in denen der
Lenkradvirtuose seine einzigartige Fahrzeugkontrolle voll ausspielen konnte. Er
hängte Häkkinen nicht ab, er desklassierte ihn geradezu: Rund fünf Sekunden
legte er in nur zwei Umläufen zwischen sich und seinen Erzrivalen.
Schon bald führte jedoch kein Weg mehr an Regenreifen vorbei – das nächste Fiasko
für die Silberpfeile die dadurch ihre Strategie durch den Kamin jagen konnten,
denn Mikas erster Stopp war erst einige Runden später eingeplant gewesen.
Während Michael die Führung nach dem vorgezogenen Reifenwechsel behaupten
konnte, fiel Häkkinen hinter seinen Teamkollegen zurück - der eine Runde eher zu
einem äußerst fixen Boxenstopp hereingekommen war – zurück.
Auch Ralf hatte sich auf feuchte Verhältnisse gefreut, doch als es zu nieseln
begann, geriet der Williams-Pilot buchstäblich vom Regen in die Traufe. „Meine
Bremsen machten Probleme“, erläuterte er. „Auf den Geraden musste ich pumpen,
um Bremsdruck aufzubauen – dabei kam ich mehrmals von der Strecke.“ Nach seinem
Boxenstopp fand sich Ralf auf Rang zehn wieder, überholte Johnny Herberts
Jaguar, dann war Schluss mit der Vorstellung: Unverschuldet wurde Ralf in die Kollision
zwischen Jos Verstappen und Eddie Irvine verwickelt. Alle drei schieden aus…
Während sich die Bedingungen weiter zuspitzten, stürmte Michael mit seinem
Ferrari an der Spitze auf und davon. Zeitweilig nahm er seinen Konkurrenten pro
Runde fast 2,4 Sekunden ab. Häkkinen kämpfte sich derweil an Coulthard vorbei zurück
auf Rang zwei. Die Positionen schienen gefestigt. Vorerst. Denn als Michael in
Runde 35 zum zweiten Mal in Richtung Boxenstraße driftete, blies der Finne zur
Attacke: Jetzt war sein Rivale mit einem schwereren Auto unterwegs und er mit
einem relativ leichten. Jetzt endlich konnte er die schnelleren Runden drehen.
Es dauerte fünf Umläufe, bis Michael erstmals konterte. Häkkinens Vorsprung
betrug zu diesem Zeitpunkt 25 Sekunden, er musste noch einmal tanken – und es
standen Überrundungen an. Doch McLaren holte ihn erst vier Runden später herein.
Bis dahin hatte Mika weitere drei Sekunden eingebüßt. Der Rest wurde für
Michael zum Spaziergang – auch wenn Häkkinen seinen Rückstand noch von 15 auf
fünf Sekunden reduzieren konnte und der führende Ferrari mit abgefahrenen
Reifen immer stärker unter Aquaplaning litt. Doch als Häkkinen kurz vor dem
Ziel auch noch auf die Kampfgruppe Herbert, Button, Wurz und Zonta auflief und
weitere Sekunden einbüßte, war der Kuchen gegessen.
David Coulthard konnte am Ende froh über seinen dritten Platz sein, den er
knapp gegen Rubens Barrichello und Giancarlo Fisichella verteidigte.
Michaels Erfolg war sein
erster am Steuer eines Ferraris auf heimischem Terrain. Überschwänglich jubelte
er im Parc Ferme mit seinen Mechanikern und küsste sogar vor Freude eine TV-Kamera.
„Das ist sicher einer der schöneren Tage in meinem Leben – gar keine Frage. Ich
wusste zwar, dass wir eine Chance haben, das Rennen zu gewinnen. Aber die
Umstände waren natürlich speziell: Wir wussten nicht, wie stark unser Auto im
Regen ist. Wir haben die Bestätigung bekommen, dass es sowohl im Trockenen wie
im Regen schnell ist. Dass ich erstmals hier mit Ferrari gewonnen und alle Fans
zufrieden gestellt habe, ist schon toll.“ Er war entspannt, lächelte über das
ganze Gesicht und sah so frisch aus, dass man sich kaum vorstellen konnte, dass
er gerade eine Stunde und 42 Minuten über den Nürburgring gefahren war. Ein
Reporter sah ihn an und meinte, er sei wohl sehr populär. Ohne eine Spur von
Ironie erwiderte Michael: „Es sieht wohl so aus.“ Dann lächelte er und fügte
dann doch mit einiger Ironie hinzu: „Ich bin ganz ehrlich nicht überrascht. Hier
sehr beliebt zu sein.“ Es war sein vierter Sieg im sechsten Rennen und er
führte die WM-Wertung nun mit 18 Punkten vor Häkkinen an. „Ich habe davon
geträumt. Und manchmal werden Träume war. Wir sind in einer guten Situation.
Wir haben ein gutes Auto, ein gutes Team. Jetzt haben wir einen großen
Vorsprung. In den Jahren zuvor war das Gegenteil der Fall. Ich hoffe, dass wir
den Vorsprung bis zum Saisonende halten können.“
Michael stattete nach der offiziellen PK dem RTL Studio einen Besuch ab. Noch
in seinem durch den Regen und Champagner durchnässten Rennanzug sah’s er dort
und erzählte mit einem strahlen in den Augen von dem kleinen Glücksbringer den
seine Tochter ihm mitgegeben hatte: Eine kleine rosa Haarbürste.
Im Nachhinein machte noch eine Kleinigkeit das Rennen zu etwas besonderem.
Das Nürburgring Rennen war das letzte Mal wo man Michael mit seinem
weiß-blauen Helmdesign gesehen hatte. Ab dem nächsten Rennen in Monaco,
verschmolz Michael auch farblich mit seinem roten Ferrari.
Quellen: FIA Saison
Review 2000. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre",
deutsche Übersetzung 2000. Formel 1 Saison '00, Neckarsulm 2000. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.
16. Rennen der Saison '00
Der Große Preis von Japan auf dem Suzuka International Racing Course nahe Suzuka
8. Oktober 2000
Eine Saison
voller Aufs und Abs lag bisher hinter Michael. Hatte er noch die ersten fünf
von acht Rennen gewinnen können, so fiel er im Sommer in ein großes Loch.
Nichts wollte mehr gelingen. In Frankreich hatte man Probleme mit den Reifen
und in Österreich und Hockenheim entwickelte sich jeweils der Start schon zu
einem wahren Alptraum. In beiden Fällen war schon nach wenigen hundert Metern
Schluss. Bei den Großen Preisen von Ungarn und Belgien war man Chancenlos,
obwohl man geglaubt hatte dort gewinnen zu können. Schlimmer noch, in Spa
verlor Michael erstmals in der Saison die WM-Führung.
Der Druck
beim Ferrari Heimspiel in Monza war unermesslich groß. Hätte man dort nicht die
Wende geschafft, wär die Weltmeisterschaft wohl wieder in weite Ferne gerückt.
Doch man schaffte was viele schon nicht mehr für möglich gehalten hatten.
Michael konnte seinen 41. Sieg einfahren und wurde von abertausenden Tifosi
überschwänglich gefeiert. Den Moment des Triumphes kostete er auf dem
Siegerpodest voll aus. Alleine saß er oben auf dem Siegerpodest mit einem seligen
Lächeln im Gesicht und genoss die Freude der Fans. Ein vollkommen anderes Bild
bot sich dann in der Pressekonferenz. Als er auf seinen 41 Sieg angesprochen
wurde, mit dem er mit Ayrton Senna
gleichgezogen hatte, entluden sich all der Druck der in den Wochen zuvor auf
ihm gelastet hatte, gemischt mit den Emotionen des Sieges und der Erinnerungen
an Senna in einem Tränenmeer. Minuten lang war er nicht in der Lage das
Interview fortzusetzen. Häkkinen und Ralf, die neben ihm saßen versuchten Trost
zu spenden. „Jeder hat eine Grenze“, erklärte er später, „und ich hatte da meine Grenze deutlich überschritten.“
Dank eines
weiteren Sieges in Indianapolis und dem gleichzeitigen Ausfall Häkkinens hatte
Michael erstmals seit 1998 wieder einen „Matchball“ im Kampf um den WM-Titel.
Zwei Punkte musste er nur noch mehr als Mika holen. Zwei zweite Plätze in
Suzuka und beim Finale in Sepang hätten schon ausgereicht, selbst bei
gleichzeitigen Siegen Häkkinens. Michaels Strategie war jedoch klar: „Wenn es
möglich ist, mache ich den Sack hier zu.“ Er wollte also voll auf Angriff
gehen.
Für Mika gab es hingegen keine
andere Wahl, er musste vor Michael ins Ziel kommen und kündigte im Gespräch mit
Michael an: „Ich werde jede Kurve drei Meter später anbremsen als
normalerweise.“ Ein Konter ließ nicht auf sich warten: „Dann verlege ich den
Bremspunkt um fünf Meter.“ Auch Mika war nicht auf den Mund gefallen: „Dann
landest du im Kies.“ Michael wollte das letzte Wort behalten: „Okay, dann treffen
wir uns dort.“ Der freundschaftliche verbale Schlagabtausch machte die
Psychostrategie der beiden Titelanwärter deutlich: Locker bleiben – keine
Nervosität verraten.
Das erste
freie Training konnte Michael für sich entscheiden, das zweite ging an Häkkinen.
Ein Qualifying Krimi zeichnete sich ab.
Doch da tat
sich erst einmal gar nichts bei den beiden Top-Teams. Coulthard war der erste
der sich nach etwas mehr als 20 Minuten auf die Strecke wagte. 25 Minuten nach
Beginn des Qualifyings tauchte Michael auf, schob das Helmvisier nach unten und
steuerte seinen Boliden die Boxengasse herunter. Während er Schwung holte für
seine schnelle Runde, ging Häkkinen auf die Piste. Das Duell konnte beginnen.
Michael griff an. Nachdem er im dritten Sektor schneller als DC war, war
Häkkinen wiederum schneller als er selbst im ersten Sektor. Michael war nach
1:36,094 über der Ziellinie, Häkkinen nach 1:36,168. Michael hatte einen
Vorsprung von 0,074 Sekunden.
21 Minuten vor Trainingsende: Häkkinen ging auf die Strecke und war um 0,077
Sekunden schneller (1:36,017).
17 Minuten vor Trainingsende: Michael griff wieder an und kam am Ende einer
makellosen Runde auf 1:35,908 und hatte einen Vorsprung von 0,109 Sekunden.
Mika sah die Zeit auf seinem Monitor und schüttelte lächelnd kurz den Kopf.
11 Minuten vor Trainingsende: Häkkinen antwortet. Nun beobachtete Michael den
Monitor. Häkkinen war im ersten Sektor um 0,043 Sekunden langsamer – Michael
zeigte keine Reaktion – und um 0,025 Sekunden im zweiten Sektor langsamer. Am
Ende lag seine Zeit bei 1:35,834. Mika hatte einen Vorsprung von 0,074
Sekunden. Michael lächelte und ging wieder auf die Strecke.
3,5 Minuten vor Trainingsende: Auf der Strecke herrschte kaum Verkehr. Im
ersten Sektor war Michael um 0,039 Sekunden langsamer. Im zweiten Abschnitt jagte er
über die Abweiser und war um 0,012 Sekunden schneller. Nachdem er den letzten
Sektor hinter sich gebracht hatte, raste Häkkinen auf die Strecke. Michaels
Zeit: 1:35,825. Ein Vorsprung von 0,009 Sekunden!
Häkkinen begann seine letzte Runde. Michael sah, stehend in seinem Auto, auf dem
Monitor „die beiden ersten Abschnitte, und dann war ich beruhigt“. Mika war im
ersten Teil um 0,002 Sekunden schneller und im Zweiten um 0,088 langsamer. „Ich
wusste, dass es ein enges Training werden würde, und dass jeder von uns beiden
die Pole erreichen konnte.“ Häkkinen erreichte nach 1:36,018 Minuten die
Ziellinie.
Michael hatte mit einem Vorsprung von 0,009 Sekunden den ersten Startplatz
erreicht. In der Ferrari-Box schlug man sich gegenseitig auf die Schulter und
zeigte seine Freude. Michael trank aus seiner Trinkflasche, betrachtete die
Zeiten auf dem Monitor, schlenderte die Boxengasse herunter und beobachtete
Häkkinens McLaren, der gerade in die Garage des Parc Ferme geschoben wurde. Es
war als ob er den Wagen mit seinen Augen sezieren würde.
Er ging in die Pressekonferenz, wo jemand meinte: „Sie machen einen wesentlich
ruhigeren Eindruck und scheinen viel nachdenklicher als sonst zu sein. Unter
wie viel Druck stehen sie?“ Michael schob dies beiseite: „Natürlich ist dies
kein Rennen wie jedes andere. Wir können hier die Meisterschaft holen, aber es
macht keinen Sinn, bereits die Pole Position als Sieg zu feiern. Es ist schön,
aber es ist nicht das endgültige Ergebnis. Wir werden morgen hart dafür kämpfen müssen. Aber wir sind bereit.“
Im Warm-up, unter einem bleigrauen Himmel kam Michael auf 1:38,005 Minuten. Mika erreichte 1:38,526. Nun, das war ein echter Unterschied.
Nach Angaben der Meteorologen sollte es während des Rennens regnen.
In Maranello war es dunkel und es regnete. Die Ferrari-Fans kamen sich daher unter den Regenschirmen etwas näher. Gemeinsam wollte man das Rennen auf einer
Großbildleinwand verfolgen. Ferrari-Flaggen wehten im Regen, während
gleichzeitig Mercedes schon mal symbolisch zu Grabe getragen wurde. Ein Sarg
mit dem Schriftzug „Mercedes“ wurde zunächst in eine Kirche und dann zur
Ferrari-Hauptverwaltung getragen.
In Kerpen hatten sich gut 3000 meist in knallrote Anzüge gekleidete Menschen
versammelt. Auch hier wehten die Ferrari-Flaggen zuversichtlich. Beide
Gemeinden waren in diesem Moment aufs Engste verbunden.
In Suzuka stellten sich die Wagen zum Start auf. Michael gab noch einmal
Interviews und wirkte dabei sehr angespannt. Man bekam eine kleine Vorstellung
davon wie wichtig dieses Rennen für alle Beteiligten war.
Von einem Moment auf den anderen waren die Piloten in der Startaufstellung
unter sich. Michael legte in der Aufwärmrunde eine beachtliche Geschwindigkeit
vor. Nun standen sie wieder, warteten auf das Verlöschen der Startampeln. Eine
TV-Kamera fing beide Titelaspiranten ein. Die Spannung an den Bildschirmen war kaum auszuhalten. Und dann ging es endlich los.
Michael erwischte einen schlechteren Start als Häkkinen und zog sofort nach rechts um
Mika zu blocken, doch der war schon neben ihm und ging in der ersten Kurve in
Führung. „Nach dem Start war mir klar, dass das in die Hose gegangen war. Jetzt war die Taktik eigentlich nur, aufs
spätere Renngeschehen zu achten. Und zum richtigen Zeitpunkt zuzuschlagen.“
Aber in welchem Tempo? „Zumindest bis zum zweiten Boxenstopp wie im Qualifying
– und zwar jede Runde.“ Michael folgte Häkkinen nun wie ein Schatten und
gemeinsam setzten sie sich vom Rest des Feldes ab. Nach zehn Runden trennten
gerade mal 1,8 Sekunden die beiden Erstplatzierten, die Rennsport par
excellence boten. Am äußersten Zipfel der Fahrphysik und mit unerhörter
Präzision zirkelten sie ihre Boliden durch die schnellen Wechselkurven, keiner
der beiden erlaubte sich auch nur den kleinsten Fehler.
In Runde 22 kam Mika als Erster an die Box. 6,8 Sekunden benötigten seine
Mechaniker für das Tanken und Reifenwechseln. Nur eine Runde später bog auch
Michael ab, der zwar etwas länger stand, dafür aber in seiner In-Runde fast
eine Sekunde schneller war als Häkkinen auf seiner. Abstand und Reihenfolge
blieben unverändert. David Coulthard lag bereits gut 20 Sekunden zurück.
In Runde 29 brach die spannende Phase an: Es begann leicht zu regnen. Für
Michael war klar: Jetzt war die Zeit gekommen für den Angriff. Auf der feuchten
Piste reduzierte er seinen Rückstand auf den Silberpfeil auf nur noch 0,7
Sekunden. Dunkle Wolken versprachen ergiebigere Regengüsse. Die nächste
Boxenstopp-Runde rückte näher. Regen oder Trockenreifen, was sollte die
richtige Entscheidung sein?
Dicht hintereinander flogen die beiden Rivalen auf
die Schikane vor Start-Ziel zu, mit einem Ricardo Zonta vor ihnen, der zur
Überrundung anstand. Während Häkkinen den BAR noch auf der Geraden passierte,
versuchte Michael dies beim Anbremsen – beide Autos touchierten mit den Rädern.
Während Michael davon gar nichts mitbekommen hatte, hielt man vor den Monitoren
den Atem an.
Jetzt ging es um alles: Mika kam in Runde 37 an die Box. Michael drehte voll
auf, „obwohl meine Reifen schon ziemlich am Ende waren.“ Drei Runden Zeit hatte
er um den Vorsprung herauszufahren der ihm reichen würde um vor Mika zu
bleiben. Dabei musste er allerdings noch einige Autos Überrunden. Als Michael
zum letzten Mal vor seinem eigenen Tankhalt durch die Schikane tobte, konnte er
nur mit Mühe dem sich vor ihm drehenden Benetton von Alexander Wurz ausweichen.
7,4 Sekunden hatte der McLaren gestanden, lediglich 6,0 der Ferrari – würde es
reichen?
„Dieser Funkspruch. Den werde ich sicher in meinem ganzen Leben nicht
mehr vergessen, den werde ich immer im Ohr haben: Ich fahre die Boxengasse nach
meinem zweiten Stopp hinunter, und Ross Brawn sagt mir ins Radio: „It’s looking
good, it’s looking good“, also: „es sieht gut aus“. Und ich bin innerlich
völlig angespannt und warte unwillkürlich darauf, dass er sagt: „It was looking
good“, „es sah gut aus“. Aber plötzlich sagt er: „It’s looking bloody good! –
Es sieht verdammt gut aus!“ Ehrlich, ich dachte, mein Herz hüpft in die Höhe!
Es war als hätte es einen Schlag ausgesetzt. Ein wahnsinniger Moment.“ Als der
Ferrari auf die Strecke zurück schoss, hatte Mika soeben die Schikane passiert
– die WM war so gut wie entschieden. Doch als Michael kurz vor Schluss
langsamer wurde, witterte der Finne noch einmal Morgenluft. „Ich bin gefahren
wie ein Verrückter.“ Doch der Käse war gegessen. 21 Jahre nach Jody Scheckter
hieß der neue Ferrari Weltmeister Michael Schumacher. Alle Träume wurden war.
Michael konnte sein Glück kaum fassen. „Du bist großartig Ross - jeder von euch Jungs. Oh mein Gott - wir haben es geschafft! Wir
haben es tatsächlich geschafft! Danke!“, schrie er außer sich vor Freude über den Funk
und hämmerte wie besessen auf sein Lenkrad ein. "Ich kann es nicht glauben - gebt Corinna einen dicken Kuss von mir.“
„Ich war so unendlich glücklich! Ich wusste gar nicht, was ich mit dem Glück anfangen
sollte, ich fühlte mich plötzlich fast eingesperrt in diesem Auto, meinem
Ferrari. Das ist irgendwie so als würdest du gleich platzen. Ich habe dann so
dermaßen aufs Lenkrad geschlagen, dass es daraufhin vorsichtshalber aus dem
Verkehr gezogen wurde – aus Angst, etwas sei kaputt gegangen dabei. Es war
einfach eine solche Erlösung! Eine solche Erleichterung! Endlich geschafft,
nach so vielen Jahren voller Enttäuschungen. In der Outlap, als es schon vorbei
war, bin ich nur so herumgefahren – ich war einfach voller Tränen und stand irgendwie fast neben mir. Wie soll man das sagen? Du bist fast jemand anderer.“
Der Rest versank in einem Meer von Emotionen: Seine vor Freude weinende Frau Corinna,
wie alle Beteiligten sich gegenseitig umarmten. Die Freude der Fans - zu Hause
in Kerpen, in Maranello, auf der ganzen Welt.
Nach der Auslaufrunde parkte er den F1-2000, seine „Rote Göttin“, im Parc Ferme,
kletterte zunächst allerdings nicht aus dem Auto. Jean Todt tauchte in das
Cockpit, um dort Michaels Hände zu umfassen. Eddie Irvine, bückte sich und
schüttelte die noch immer im Handschuh steckenden Hände. Erst als er seine
verständlichen Emotionen wieder im Griff hatte, setzte er sich aus seinem Auto
hoch auf die Rückenlehne, es folgten weiter Umarmungen und Gratulationen. Auch
Mika Häkkinen gehörte zu den ersten Gratulanten. Es war ein toller Moment als
beide sich in den Armen lagen.
„Was noch wunderschön war: Der Moment, als ich
im Parc Ferme aus dem Auto ausstieg und das ganze Team da stand. Diese
Gesichter! Überall nur strahlende Augen, alle jubelten, und ich hätte am
liebsten jeden einzelnen umarmt und geküsst – okay, ich habe es zumindest
versucht, und gottseidank war Corinna
da. Und dann oben auf dem Podest, bei der Siegerehrung: Spätestens da hätte ich
wirklich die ganze Welt umarmen können. Wenn man von oben runter schaut und
einem nur Lachen, Jubel, Singen entgegenschlägt – solche Momente kann man nicht angemessen in Worten beschreiben.“
Was nach den ganzen Interviews folgte war eine WM-Party die dem Anlass gerecht wurde. Auch
wenn sie vollkommen improvisiert war. Erster Ort der Feierlichkeiten: Die
Boxengasse. Es war gegen 22 Uhr und Michael war so richtig in Fahrt. Beim
feiern zeigt sich seine rheinländische Herkunft, da muss er trinken, singen,
aber auch zündeln und andere mitziehen – „man glaubt es ja kaum, aber unsere
Italiener brauchen eine ganze Weile, bis sie so richtig warm werden und
ausgelassen feiern“, sagte er grinsend in die Runde. Also bekam jeder, der
nicht rechtzeitig flüchten konnte Champagner über den Kopf. Seine eigene
Kleidung war schon lange hinüber, inzwischen trug er schon den dritten Pulli –
zuviel Champagner, Cola und Bier, vermischt mit Senf, Sahne und Ketchup, das
hielt die stärkste Teamkleidung nicht aus. Der Pulli gehörte Ralf, wie die
Trainingshose, die Michael trug.
Später am
Abend, bzw. in der Nacht, verlagerte man die Feierlichkeiten in die umliegenden
Karaoke-Hütten des Vergnügungsparkes von Suzuka. Um drei Uhr morgens stieg der
erste Auftritt des neuen Rock-Duos Micha und Mika. Elf Stunden nach der WM-Entscheidung
sangen die beiden Titelrivalen gemeinsam aus voller Kehle in der Karaoke-Kabine
Nr. 7 Arm in Arm den Rock-Klassiker „Smoke on the water“ in die Mikrofone. Der
ganze Druck nach dem monatelangen knochenharten Zweikampf war wie weggeblasen.
Jetzt hieß es nur noch Feiern, Feiern, Feiern. Die rot-silbernen Kontrahenten waren wenigstens bis zum Morgengrauen ein Herz
und eine Seele.
Michael brauchte nach eigener Aussage 2 Tage um sich von den Nachwehen der Feierlichkeiten zu erholen.
„Ferrari könnte, ähnlich wie McLaren oder Williams in den neunziger Jahren, zu einer
Macht in der Formel 1 werden“, erklärte Michael nur einen Tag nach seinem
größten Triumpf. „Meine Mission ist also noch nicht erfüllt. Ich sehe nicht nur
diesen einen WM-Titel, über den ich mich so freue, nein: Ich träume von mehr,
von einer neuen Ära Ferrari. Einmal mit der Scuderia den Titel zu holen, ist
schon ein Traum, ganz klar. Dieses Kunststück aber ein- oder zweimal zu Wiederholen? Das wäre Wahnsinn. Das ist mein Ziel!“
Der Sieg beim darauffolgenden Rennen in Malaysia sollte dann auch gleich denjenigen, die
nun ein Motivationsloch bei Michael vermutet hatten, den Wind aus den Segeln
nehmen.
Quellen: FIA Saison Review 2000. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000. Formel 1 Saison '00, Neckarsulm 2000. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Heinz Prüller "Grand Prix Story 2000", 2000. BILD "Faszination Formel 1 2001", Hamburg 2001. Sabine Kehm "Michael Schumacher", 2006. Thüringer Allgemeine Zeitung vom 09.10.2000.
2. Rennen der Saison '01
Der Große Preis von Malaysia auf dem Sepang International Circuit in Kuala Lumpur
18. März 2001
Das erste Mal seit 1996 zierte wieder die Nummer eins das Auto von Michael.
„Es ist ein tolles Gefühl, diese Nummer wieder auf dem Auto zu haben. Dafür
haben wir lange genug gearbeitet“, und er wollte alles daran setzen, dass dies
noch lange so bleibt: „Natürlich ist das mein Ziel, für das wir genauso hart
arbeiten werden wie im letzten Jahr. Ob es am Ende reicht, werden wir sehen.“
Eines jedoch war klar: Den riesen Druck, endlich Weltmeister mit Ferrari zu
werden, den gab es nicht mehr. „Ich fühle mich relaxt. Ich habe einige Kilos
weniger auf meinen Schultern“, sagte ein gut gelaunter Weltmeister auf der
Pressekonferenz am Donnerstag beim Saison Auftakt in Melbourne, der seinen Konkurrenten gleich noch etwas mit
auf den Weg gab: „Ich bin Rennfahrer mit Haut und Haar. Deshalb freue ich mich
auf jeden Kampf. Daran hat sich auch nach 28 Jahren in diesem Sport nichts
geändert.“ Von einem Motivationsproblem konnte also keine Rede sein.
Zu einer Art Runing-Gag wurde das 1. Freitagstraining der neuen Saison für
Michael. Schon im Jahr zuvor flog er im Training von der Strecke. Diesmal
allerdings hatte das Training etwas Neues für ihn parat: Einen zweifachen
Überschlag. „Es war der erste. Das war wieder eine neue Erfahrung. Das Ganze
ist sehr weich abgerollt. Es war überhaupt nicht schlimm.“ Corinna blieb in den Boxen der Schock erspart. „Als ich auf den Monitor schaute", erzählte sie, „war schon alles vorbei. Ich dachte nur - was ist denn jetzt schon wieder passiert?"
Michael dominierte darauf im Albert Park derart souverän mit einer Pole, einem
Start-Ziel-Sieg und der schnellsten Rennrunde, dass nach dem Rennen direkt die
Frage gestellt wurde, wer ihn und Ferrari diese Saison daran hinder sollte die
WM erneut zu gewinnen.
Gut erholt nach einem Kurzurlaub kam Michael nach Kuala Lumpur, wo die Wellen an der Politikfront bereits hoch schlugen. Losgedrehten wurde die
Diskussion von Heinz-Harald Frentzen. Der hatte auf seiner Internetseite dem - von Ferrari mit Vorjahresmotoren
ausgerüsteten - Sauber-Team unterstellt in Melbourne eine unerlaubte Traktionskontrolle
eingesetzt zu haben. In diesem Zusammenhang sei auch davon auszugehen, dass
Ferrari im Jahr zuvor „dubiose“ Dinge benutzt habe. Ein Sprecher des Sauber
Rennstalls reagierte empört und verwies den Einsatz illegaler elektronischer
Fahrhilfen in den Bereich der Fabelwelt. Auch FIA-Präsident Max Mosley meldete
sich zu Wort: „Die FIA kann wohl besser beurteilen, mit welchem Equipment die
Teams an den Start gehen.“ Michael konnte die Aussagen von Frentzen natürlich
nicht auf sich sitzen lassen. „Derartige Verdächtigungen schaden der Formel 1.
Wenn jemand davon überzeugt ist, dass ein Konkurrent illegales Material
einsetzt, dann soll er Protest einlegen.“
Die Stimmung war gereizt, und der Kreis schloss sich, als Frentzen in Sepang
Rede und Antwort stehen musste. Der Mönchengladbacher wusch seine Hände in
Unschuld: „Ich habe ja nie behauptet, das gegen die Regeln verstoßen wird,
sondern lediglich über meine Eindrücke gesprochen.“ Worüber sich Michael nur
noch mehr ärgerte: „Immer dasselbe. Zuerst wird etwas behauptet, dann halb
zurück genommen, und am Ende heißt es dann immer noch: Das ist dubios. Wir
leben in einer Welt der Spekulationen. Frentzen weiß gar nicht, was er da
anrichtet.“
Doch das war nicht die einzige Geschichte die Michael in Malaysia mit dem Sauber-Team
verbunden hatte. Er dachte an Filmaufnahmen für die „Versteckte Kamera“, als
er gefragt wurde, ob er den Schweizer Rennstall kaufen wolle. Herzhaft lachend,
antwortete er: „Sauber ist ein großartiges Team, aber soweit geht die Liebe
nicht.“ Obwohl er kein klareres Dementi hätte geben können, kochte in Kuala
Lumpur die Gerüchteküche trotzdem weiterhin.
Ab Malaysia trug Michael auch einen neuen Helm. Gab es noch in Australien
stress mit seinem früheren Ausrüster Bell, der per Gerichtsbescheid Michael
dazu verpflichtet hatte weiterhin dessen Helme zu benutzen (ein Verstoß hätte
Michael pro Einsatz eine Viertelmillion Mark gekostet), so fand man bis zum
nächsten Rennen eine Lösung. Eine Abfindungszahlung machte den Wechsel von Bell
zu Schubert perfekt. Der neue Helm war sicherer, leichter und damit bequemer –
außerdem wurde die Luftströmung durch den speziell an den Ferrari F2001 angepassten Kopfschutz verbessert.
Ganz andere Sorgen hatte hingegen schon am Mittwoch Rubens Barrichello: Bei drückend heißen Temperaturen zuckte ein Blitz aus den tief hängenden Wolken und
schlug nur wenige Meter neben ihm in einen Gullydeckel ein. Sekunden später konnte
der Ferrari-Pilot schon wieder lachen. „Unglaublich“, sagte er, „der Blitz hat
mich wohl als Brasilianer erkannt, Nirgendwo auf der Welt werden so viele Menschen vom Blitz erschlagen, wie in meiner Heimat.“
Im Freitagstraining mussten sich die beiden Ferrari-Piloten mit Platz eins und zwei zufrieden geben. Im Qualifying zogen sie jedoch wieder ihre Gala ab und
eroberten die komplette erste Startreihe. Um 0,099 Sekunden hatte Michael die
Nase vorn. Aber anders als vor zwei Wochen ging Platz drei nicht an Mika
Häkkinen, sondern an Bruder Ralf. Dessen Leistung veranlasste Michael zu
scherzen: „Irgendjemand soll ihn mal daran erinnern, wie jung er ist. Er braucht die Dinge noch nicht so sehr zu überstürzen.“
Die erste Aufregung gab’s für Michael schon vor dem Start. Wegen Problemen am Einsatzauto musste er sich im T-car anschnallen lassen.
Als das Feld von der Einführungsrunde zurückkehrte, spielte Fisichella
verrückt. Er konnte seinen Startplatz nicht finden und parkte seinen B201 letztlich zwischen den
parallelen Autoreihen. Das Prozedere wurde abgebrochen, Fisichella nach hinten
verbannt und die Renndistanz vorschriftsmäßig um eine Runde gekürzt. Erneut
führte Michael seine 21 Kollegen in eine Formationsrunde. Aber wieder lief
nicht alles nach Plan. Montoyas Williams bewegte sich nicht vom Fleck.
Als endlich Gas gegeben werden durfte, nutzte Michael seine ideale
Ausgangsposition fehlerfrei. Im Rücken des Titelverteidigers aber kam es zu
erheblichen Positionsverschiebungen. So löste sich Barrichello nur schlecht von
der Linie. Sofort wurde der Südamerikaner von Ralf auf der Außenbahn attackiert,
und von Trulli, der sein Glück innen versuchte, in die Zange genommen. Ralf
hatte beim Einlenken in die erste Kurve die Nase bereits klar vorne, als ihn
Barrichello abschoss.
Michael kam mit einem Vorsprung von 1,3 Sekunden auf seinen rüden Teamkollegen
aus der Startrunde zurück. Hinter dem roten Duo folgten zunächst Trulli, Coulthard – der als achter ins Rennen ging
-, Frentzen, Verstappen – auf 18, als die Startampeln verloschen - und
Villeneuve. Ganz hinten lagen Barrichello-Opfer Ralf und Montoya, der mit zehn
Sekunden Verspätung aus der Boxengasse startete.
Auch in Runde zwei baute der Spitzenreiter seinen Vorsprung weiter auf 3,1
Sekunden aus. Oliver Panis verabschiedete sich hingegen wegen des Bruchs einer
Ölleitung in Turn 6. Seinen Kollegen hinterließ der Franzose dabei unfreiwillig
eine tückische Ölspur.
Während des dritten Umlaufes wurde der Spaziergang der beiden Ferrari-Piloten
jäh unterbrochen: In Turn 6, dort wo Panis das Öl des Honda-V10 verloren hatte,
rutschten die beiden roten Rennwagen synchron in den Kies der Auslaufzone. Die
Szene erinnert an die großen Tage des Eiskunstlaufens der Paare. „Da fürchte
ich schon: das Tempo, der Winkel, die Leitplanke – das geht sich nicht mehr
aus. Mein Rennen ist zu Ende“, so Michael. Barrichello, knapp dahinter,
fürchtete noch schlimmeres: „Wenn ich mich jetzt drehe, krache ich genau gegen Michaels
Auto!“ Das Wunder: Beide konnten auf die Strecke zurück kehren. Doch bevor
Barrichello den Rückweg auf die Piste gefunden hatte, waren Trulli und
Coulthard durchgeschlüpft. Michael verlor noch mehr Zeit im Kies und war nur noch
siebter. Neben den drei genannten hatte er nun auch Frentzen, Verstappen und
Villeneuve vor sich. 6,8 Sekunden fehlten ihm nun auf den neuen Leader Trulli.
Aber Runde drei hatte noch mehr zu bieten als die unfreiwillig komische Einlage
des Ferrari-Duos: In Teilbereichen der Piste ging plötzlich starker Regen
nieder. Tropischer Regen! Am Ende des Feldes bogen einige Piloten zum Wechsel
auf Regenreifen in die Boxengasse ab. Das Chaos auf der partiell überschwemmten
Piste hatte seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. Der vierte Umlauf brachte –
bedingt durch Aquaplaning – das Aus für Villeneuve, Bernoldi, Montoya und
Heidfeld. Trulli, Coulthard und Barrichello kamen glimpflicher davon. Das Trio
legte Pirouetten ein, konnte aber weite mitmischen. Das Safety-car rückte aus,
während in der Boxengasse Hochbetrieb herrschte: In der Reihenfolge Coulthard,
Frentzen, Barrichello, Michael, Verstappen, Trulli, Häkkinen, Button, Ralf und
Mazzacane holten die zehn Erstplatzierten neue Reifen. Dabei wechselten die
Ferrari-Fahrer auf Intermediates.
Der Stopp wurde für Michael zum Desaster. Ross Brawn: „Mein Fehler! Ich vergaß
den Mechanikern zu sagen: Zuerst kommt Rubens rein, dann erst Michael.“ So
stand der Brasilianer 1:15 Minuten ohne
rechtes Vorderrad da – und genauso lang war Michael blockiert. „Ich wollte während
des Wartens schon nach einer Tasse Kaffee fragen“, so später sein Kommentar.
Der Titelverteidiger wurde vom vierten auf den elften Rang zurück geworfen.
Aber er hatte Glück. Weil vorne das Safety-car bummelte, konnte er wieder den
Anschluss an die enteilten Kollegen herstellen. Das unglaubliche Bild: Die
Ferrari fuhren pro Runde 20 Sekunden schneller als das Safety-car. Ross Brawn
stolz: „Wir haben binnen drei, vier Runden den Rückstand wettgemacht.“
Erst zu Beginn des elften Umlaufes hieß es wieder: Feuer frei! Sofort ging es
drunter und drüber. Schon die erste Runde mit frei beweglichem Gasfuß brachte
gewaltige Veränderungen der Reihenfolge. Verstappen verdrängte HHF vom zweiten
Platz. Ralf gelang ein gewaltiger Sprung vom achten auf den fünften Rang. Sein
Bruder machte immerhin zwei Positionen gut. Positionswechsel gab es nun am
laufenden Band. Und speziell die mit ihren Intermediates ideal bereiften
Ferrari schlugen gnadenlos zu. Michael machte dabei – gerade kam die
Funkanweisung, man solle es geruhsam angehen lassen – auch vor dem eigenen Teamkollegen
nicht Halt. Der war deshalb sauer und schimpfte später: „Ich lief auf Alesi auf
und nahm Gas weg. Gemäß der Anweisung wollte ich kein Risiko eingehen und den
Prost erst hinter der nächsten Kurve überholen. In diesem Augenblick schlug
Michael überraschend zu.“
Und Michael stürmte weiter nach vorne. Phasenweise pro Runde fünf Sekunden
schneller als seine Rivalen. Sein Ferrari fuhr dabei wie auf Schienen um den
Kurs, als hätte es die feuchte Piste gar nicht gegeben. Während des 16.
Umlaufes übernahm er wieder das Kommando. Scheinbar mühelos und lässig fuhr er
seinem sechsten GP-Sieg in Folge entgegen. Sein Vorsprung wuchs derart schnell
an, dass er die Führung auch dann nicht abgab, als er nach 30 Runden auf
Trockenreifen umrüsten lies. Gegen Ende des Rennens konnte Michael es langsam
angehen lassen und hatte trotzdem noch einen Vorsprung von fast 27 Sekunden auf Barrichello der vor Coulthard über die Ziellinie fuhr.
Mit Glück, der richtigen Reifenwahl und dem nötigen Geschick konnte Michael so ein schon verloren geglaubtes Rennen doch noch gewinnen und seinen sechsten
Sieg in Serie landen. „Solche Siege liebe ich“, jubelte er, „das war ein aufregendes Rennen.“
Der Rest der Saison gestaltete sich genauso erfolgreich, er landete zwar nicht immer im Ziel (2 Ausfälle) aber wenn, dann
stand er auf dem Podest. Die einzige Ausnahme bildete hier Monza, es war das
erste Rennen nach dem 11. September und man wurde den Eindruck nicht los als
hätte sich Michael aus dem Kampf um das Podium herausgehalten. Die WM war zu
diesem Zeitpunkt schon lange entschieden. „Ich liebe euch alle“, waren die
ersten Worte an sein Team in Ungarn. Nach einer stürmischen Siegerehrung wurde
Michael beinahe von seinen Gefühlen übermannt. Mehrfach hatte er einen Kloß im
Hals und kämpfte gegen Tränen an, als er offiziell zur erfolgreichen
Titelverteidigung Stellung bezog: „Ich mag ja ein recht guter Rennfahrer sein,
aber leider fehlen mir die richtigen Worte, um meine augenblicklichen Gefühle
zu beschreiben. Ich kann nur sagen wir hatten ein wundervolles Wochenende. Wir haben alles getan
was wir tun konnten. Wir haben eine großartige Mannschaft, so ein gutes Team
und ich liebe sie alle. Es macht so viel Spaß mit ihnen zu arbeiten. Es ist
deren Leistung und ich bin jedem von ihnen mehr als dankbar.“ Und Michael versprach seinen Fans und auch der Konkurrenz,
dass er weiterhin versuchen würde „erster zu werden. Ich fühle noch genug Feuer
in mir, um noch für eine ganze Weile weiterzumachen.“
Quellen: FIA Saison Review 2001. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Thüringer Allgemeine Zeitung vom 2./18. März 2001. Heinz Prüller "Grand Prix Story 2001", 2001.
16. Rennen der Saison '02
Der Große Preis der USA inIndianapolis
29. September 2002
Wer geglaubt hatte nach 2001
könne es für Ferrari nicht noch besser laufen, der sah sich im Verlauf der
Saison eines besseren belehrt. Schon Ende Juli konnte Michael seinen fünften
Titel feiern und zog mit dem Legendären Juan Manuel Fangio gleich. Nur elf Rennen benötigte er dazu. „‘Danke‘
ist ein ziemlich kleines Wort dafür, was wir alles zusammen erreicht haben: Für
die Freundschaft, die Motivation, die Bereitschaft von allen, ständig hundert
Prozent zu geben. So viel Freundschaft und Liebe untereinander, das ist schon
etwas ganz Außergewöhnliches.“
Nach seinem WM-Triumph folgten zwei weitere Siege in Hockenheim und Spa. In
Ungarn und Italien fuhr Michael jeweils hinter Barrichello über die Ziellinie. Der
zweite Platz in der Fahrer-Wertung für Rubens sollte noch in trockene Tücher
gebracht werden, um den endgültigen Triumph über die Konkurrenz zu feiern.
Wie in jedem Jahr reiste Michael früher in
die Staaten, um sich Urlaub zu gönnen und sich dabei gleich an die Zeitzone zu
gewöhnen: „Ich bin mit Corinna und ein paar Freunden Reiten gewesen“, so Michael.
„Es war sehr heiß, ich konnte mich aber gut entspannen. Wenn ich in Italien zu
100 Prozent erkannt werde, dann kennen mich die Leute in den USA nur zu 50
Prozent. Ich freue mich nun schon auf den Grand Prix in Indy. Es stimmt, dass
ich die Formel-1-Strecke hier nicht besonders anspruchsvoll finde, aber das
bedeutet nicht, dass ich nicht froh bin, hier zu sein."
Natürlich war aber auch in Indianapolis der zweite Platz von Rubens Barrichello
in der Fahrerweltmeisterschaft das oberste Ziel, doch Michael kündigte an, dass
man freier auffahren dürfe: „Unser Hauptziel ist es, Rubens auf den zweiten
Platz in der Meisterschaft zu helfen. Natürlich hat sich alles seit dem
Ergebnis von Monza verändert, denn Rubens hat nun eine ordentliche Führung
gegenüber seinen Rivalen. Ich denke, dass wir aus diesem Grund im Rennen jede
Menge Spaß haben werden. Sogar wenn ich gewinne, würde er Zweiter werden, das
bedeutet, dass wir in den letzten zwei Rennen frei auffahren können und darauf
freue ich mich!“
Angesichts der Tatsache,
dass er seinen fünften Titel gewann, zehn Rennen für sich entscheiden konnte
und ebenfalls so viele Punkte sammeln konnte wie nie zuvor, sprach Michael in
Indianapolis von einer absoluten Traumsaison: „Es ist schwierig, Worte zu
finden, die meine Gefühle beschreiben. Es gab wirklich besondere Momente wie in
Magny-Cours oder in Spa. Ich kann sagen, dass dieses Jahr eine fast perfekte
Situation war. Ob ich mich manchmal frage, ob dies alles überhaupt Wirklichkeit
ist, wenn ich morgens aufwache? Ja, manchmal denke ich, dass ich mich selbst
kneifen muss, so wie das am Montagmorgen nach Magny-Cours der Fall war, als ich
vielleicht ein wenig zu viel getrunken hatte!“
Für Ferrari ging das Freie-Training am
Freitag in Indianapolis mit der schnellsten Runde zu Ende. Obwohl Michael in
der ersten Trainingsstunde kaum gefahren war, lag er am Ende des Tages deutlich
vor der Konkurrenz. Er erzielte eine
Bestzeit von 1:13.548 Minuten, womit er 0,575 Sekunden schneller als der erste
Verfolger Eddie Irvine auf Platz zwei war. "Insgesamt können wir mit der
Arbeit heute zufrieden sein", freute sich Michael. "Obwohl wir nur
sehr wenige Runden am Morgen drehten, waren wir vorne dabei. Am Nachmittag
arbeitete ich an einem Reifenprogramm. Ich muss sagen, dass ich über den
Abstand zu den anderen überrascht bin dies ist etwas merkwürdig. Aber wir
müssen morgen nicht dasselbe Bild sehen, wenn mit wenig Benzin gefahren wird.
Es gab heute nicht viel Grip auf der Strecke, aber wir haben in der
Vergangenheit ähnliche Situationen erlebt. Es ist für jeden das Selbe." Barrichello
konnte unterdessen nur 30 Minuten lang am insgesamt zweistündigen Training
teilnehmen, weshalb er auf dem letzten Platz der Zeitentabelle landete.
Ferrari dominierte auch das Qualifikationstraining. Michael sicherte sich zum sechsten Mal in diesem Jahr den besten Startplatz, Barrichello fuhr
auf die zweite Position.
Zunächst hatte Michael seinen ersten Run abbrechen müssen, fuhr dann aber mit
einer Zeit von 1:10.790 Minuten die schnellste Runde des Tages. "Du
weißt nie, was du vom Qualifikationstraining erwarten sollst, weil wir schon
oft am Freitag und Samstagmorgen einen großen Vorsprung auf die Konkurrenz
gehabt haben, aber es dann am Samstagnachmittag eine ganz andere Situation war.
Aber heute lief es für uns gut."
Das Warm-up hatte an der Spitze auch keine Überraschungen mehr parat. Michael
war mit 1:13.183 Minuten die schnellste Rundenzeit gefahren. Auf den
zweiten Rang kam wieder Teamkollege Barrichello, dem nur 0,138
Sekunden auf die schnellste Runde des Morgens fehlten.
Eng aber ohne größere
Zwischenfälle ging der Start des 73 Runden langen Rennens über die Bühne.
Michael konnte seine Pole Position vor Barrichello und David Coulthard
verteidigen. Einziger Aufreger am Start war das Duell der Williams-BMW-"Kollegen":
Ralf schob sich vor Montoya auf Platz vier, doch aus dem Glück des Tüchtigen
wurde in der nächsten Runde Pech. In einer Kurve rutschte
Ralf dem Kolumbianer in die Seite, beide Autos berührten sich, Ralfs Heckflügel flog
auf und davon. Beim außerplanmäßigen "Not-Halt" verlor er allein in
der Box 69 Sekunden und musste seine Aufholjagd vom 20. und letzten Platz
starten. Auch die letzte theoretische Chance, hinter seinem Bruder noch
Vizeweltmeister zu werden, war dahin.
Derweil zogen die
"Roten" unangefochten ihre Kreise. Michael hielt Barrichello zwar auf
Distanz, doch der Brasilianer verlor nie den Kontakt zum Auto mit der Nummer 1.
Nach 20 Runden hatte er nur 1,6 Sekunden Rückstand, Coulthard im Silberpfeil hatte hingegen schon über 22 Sekunden. Eine Chance für ein Überholmanöver bekam Rubens jedoch nicht. Spannend wurde es erst durch die Boxenstopps. Beide waren
auf einer Zwei-Stopp-Strategie unterwegs. Michael war der erste von beiden der
die Ferrari Box ansteuerte. Einen großen Nutzen konnte Barrichello jedoch nicht
draus ziehen, er konnte zwar den Abstand etwas verringern aber mehr war nicht möglich.
Auch nach dem zweiten Boxenstopp änderte sich nichts an der Spitze. Beide
Ferrari-Piloten zogen vorne weiter einsam ihre Bahnen, jetzt jedoch nur noch mit
gebremstem Schaum. Es ging nur noch darum den Doppelsieg nach Hause zu
fahren, der Kampf der beiden war vorbei.
Dicht hintereinander nahmen Michael und Barrichello die letzte Runde in Angriff.
Michael fuhr einem sicheren 64. Sieg entgegen, weil klar war, dass Rubens ihn
nicht mehr angreifen würde. Doch was sich dann auf den letzten Metern ereignete
sorgte für Sprachlosigkeit, Unverständnis und Belustigung, aber vor allem für absolute
Verwirrung. Wie schon die Rennen zuvor ging der in Führung liegende
Ferrari-Pilot vom Gas um mit seinem Teamkollegen hintereinander über die
Ziellinie zu gehen. So sah es jedenfalls aus. Doch in Indianapolis passierte
noch mehr. Michael ging nicht nur vom Gas, er ging sogar soweit vom Gas, dass
Rubens in der Steilkurve neben ihn fahren konnte. Gemeinsam fuhren sie so über die
Ziellinie. Doch wer hatte gewonnen? Als die Einblendung kam, dass Rubens
das Rennen gewonnen hatte, war - zehn Rennen nach dem Ferrari-Teamorder Debakel -
die Aufregung riesengroß. Hatte Ferrari Barrichello gewinnen lassen oder hatte
der seine Chance eiskalt ausgenutzt und Michael den Sieg „geklaut“, um sich für
Österreich zu rächen? Dass Michael Rubens von sich aus vorbei gelassen haben
könnte, war für die meisten fast unvorstellbar.
Selbst am Ferrari Kommandostand fragte Jean Todt völlig verdutzt Ross Brawn,
wer denn nun der Sieger sei. Der Brite, cool wie immer zeigte nur auf den
Monitor mit den Daten. Als Brawn direkt nach dem Rennen befragt wurde, ob es
sich bei dem Rennausgang um eine Team-Strategie handelte, antwortete er mit
einem breiten Grinsen: „Wenn es geplant war, dann nicht von mir.“ Ob Michael von
sich aus Rubens vorbei lassen wollte, wurde er noch gefragt. „Das müssen sie
ihn selber Fragen.“
Michael und Rubens waren unterdessen aus
dem Auto ausgestiegen. Man sah wie die beiden sich umarmten und miteinander
redeten. Unglücklich sah Michael dabei nicht aus. Also keine Racheaktion von
Barrichello? Wollte Michael also doch, dass Rubens vor ihm über die
Ziellinie fuhr? Seine ersten Antworten in der Pressekonferenz verwirrten nur noch mehr: „Vielleicht,
wer weiß. Ich meine, wir haben so viele Rekorde in diesem Jahr erzielt und das
müsste jetzt das engste Finish sein oder? Ganz ehrlich, meiner Meinung nach
sind Rubens und ich zusammen ein so großartiges Team, dass es nichts ausmacht.
Wir arbeiten sehr hart, haben ein fantastisches Team um uns herum und haben uns
immer unterstützt. Ich dachte heute, dass es eine gute Gelegenheit wäre
zugleich über die Linie zu fahren. Das haben wir versucht, doch wir haben es
knapp verfehlt.“
Auf die weiter nachbohrenden Fragen der Reporter gewehrte er immer mehr
Einblicke in die Situation vor Rennende: „Ehrlich gesagt gab es keinen Plan.
Ich dachte nur, dass er es verdient dieses Rennen zu gewinnen. Das Team bat
mich nicht darum. Wir fuhren Seite an Seite und er siegte. Wir selbst wussten
nach der Zieldurchfahrt gar nicht wer gewonnen hatte. Rubens fragte mich auf
der Geraden, ob ich oder er gewonnen hat. Ich wusste das zu dem Zeitpunkt auch
nicht. Wir bekamen erst Klarheit als wir auf einer TV-Leinwand das Ergebnis sahen."
Von einem amerikanischen Journalisten wurde er gefragt warum die amerikanischen
Fans nicht verärgert sein sollten über einen solchen Ausgang: „Ich glaube
nicht, dass man uns, wenn man sieht wie eng es zwischen uns zuging, Absicht
unterstellen kann. Ich hatte das Gefühl und das habe ich ehrlich gesagt sehr
oft, dass wir Seite an Seite fuhren. Wie ich schon vorhin sagte, so wusste auch
ich nicht wer gewonnen hatte. Am Ende war es Rubens, der meiner Meinung nach
auch den Sieg verdient hatte, denn man muss das alles im Gesamten sehen.
Vielleicht mag der eine oder andere nicht unsere Meinung über das was heute
passiert ist teilen, doch am Ende des Tages werden nie alle einer Meinung sein.
Ich denke, dass Rubens den Sieg verdient. Wie ich schon sagte: Es gab keinen
Plan. Wir versuchten einfach nur Seite an Seite ins Ziel zu fahren und wir
waren Seite an Seite."
Und dann kamen die entscheidenden Worte: „Aus meiner Sicht war ich nicht sehr
glücklich damit was in Österreich passierte, doch zum damaligen Zeitpunkt war
das notwendig und das verstanden Rubens und ich. Um ehrlich zu sein, denke ich,
dass wir mit dem was heute geschehen ist das wieder ausgeglichen haben und ich
ihm etwas zurückgeben konnte, so dass er spürte den Sieg zu verdienen. Wir
haben ja nie gesagt, dass wir so etwas machen würden und hatten das auch nicht
geplant. Es passierte einfach. In aller Aufrichtigkeit: Ich habe vorher
gefragt, ob ich ihn vorbeilassen und ihm den Sieg schenken könnte und sie
sagten Nein. Denn, und hier wiederhole ich mich, es gab keinen Plan. Das Team
wollte also nicht, dass genau das was passiert ist auch passiert. Doch ich finde
es schön, dass es passiert ist. Im Leben sollte man ehrlich und fair sein und
genau das will ich tun."
Michael wollte also Rubens den Sieg schenken, doch um sich den Anweisungen
seines Teams nicht zu wiedersetzen überlegte er sich etwas anderes. Das engste
Fotofinish der Formel 1 Geschichte wurde es zwar nicht, aber sein Ziel hatte er
am Ende trotzdem erreicht. Rubens hatte seinen Sieg bekommen und die Rechnung
aus Österreich war beglichen. Die einen fanden die Situation komisch und gut,
die anderen gingen hingegen mit Michael und Ferrari hart in die Kritik. Viele
aber glaubten immernoch, dass es einfach nur ein Versehen war und man sich nur
dumm angestellt hätte.
Mit seinem Sieg in letzter Sekunde war
Barrichello nun auch zur angepeilten Vizeweltmeisterschaft gefahren und hatte Ferrari
damit die erfolgreichste Formel-1-Saison aller Zeiten beschert. „Wir haben
einen Mordsspaß gehabt, da war aber nichts abgesprochen. Michael hat wohl
einfach versucht, dass wir nebeneinander über die Ziellinie fahren",
versicherte auch Barrichello. „Ich muss Michael danken -
zusammen haben wir alles gegeben und alles erreicht."
So ganz vergessen war die
ganze Geschichte auch in Suzuka noch nicht. Ob er irgendwelche Pläne für die
Zieldurchfahrt hätte, wurde er in der Startaufstellung kurz vor dem Rennen
gefragt. „Ne... aber ihr kenn mich ja. Ich bin immer mal wieder für eine
Überraschung gut“, antwortete er grinsend und wendete sich seiner Arbeit zu.
Es folgte ein in dieser Saison gewohntes Bild. Michael nutzte seine Pole-Position
perfekt und fuhr ein fehlerfreies Rennen. Und weil Barrichello am Ende an zweiter
Position zehn Sekunden hinter ihm lag, nahm Michael auch dieses Mal wieder Gas weg und
lies den Brasilianer in der letzten Runde aufschließen. Geradezu provokativ
langsam fuhr er auf den Mann mit der schwarz-weiß-karierten Flagge zu.
Doch diesmal blieb Barrichello hinter ihm.
Ferrari war 2002 einfach so
dominant, dass man sich solche Spielchen nach Belieben erlauben konnte. „Es ist
unglaublich. In dieser Saison bin ich bei jedem GP ins Ziel gekommen und stand
immer auf dem Podest“, sagte Michael überglücklich.
Die Aufgabenstellung für die Konkurrenz in der nächsten Saison war klar: Wollten
sie von Ferrari nicht weiter so vorgeführt werden musste etwas geschehen. Die
Regeländerungen sollten ihnen dabei behilflich sein.
Quellen: FIA Saison Review 2002. RTL Berichterstattung vom Rennen 2002.
4. Rennen der Saison '03
Der Große Preis von San Marino in Imola
20. April 2003
Die Saison 2003 hatte nicht
gerade prickelnd begonnen: Nur ein 4. Platz in Australien, eine Runde Rückstand
in Malaysia auf den Sieger (Platz 6) und der K.o. in Runde 27 durch Aquaplaning
im Regen-Rennen in Interlagos – ein gelungener Saisonauftakt sah anders aus.
Sechs Wochen nach
Saisonbeginn gab die Formel 1 ihr erstes Gastspiel des Jahres auf europäischem
Boden. Spätestens hier musste Michael seine Ansprüche auf den Titel anmelden.
Für ihn wurde es höchste Zeit, ein Zeichen zu setzen.
Entgegen den allgemeinen Erwartungen entschlossen sich die verantwortlichen der
Scuderia Ferrari acht Tage vor der extrem kurzen Anreise von Maranello nach
Imola, auch im vierten WM-Lauf des Jahres auf Boliden vom Typ F2002, das Modell
der Vorsaison, zu setzen.
Der Druck auf Team und Fahrer war im Heimatland von Ferrari dementsprechend
hoch.
Michaels Gedanken und die
seines Bruders kreisten jedoch um die erkrankte Mutter, die nur wenige Tage zuvor
nach einem Zusammenbruch in der Kölner Universitätsklinik eingeliefert wurde.
Nachdem sie im Anschluss an eine Notoperation von den behandelnden Ärzten in
ein künstliches Koma versetzt wurde, hing das Leben von Elisabeth Schumacher an
einem seidenen Faden…
Die Freitags-Tester waren
bereits seit 50 Minuten unterwegs, als Michael vom nahegelegenen Parkplatz aus
ins Fahrerlager schlenderte, wo er nach wenigen Metern Jean Alesi über den Weg
lief. Die beiden Freunde umarmten sich, und Michael nahm sich Zeit für einen
kurzen Schwatz, bevor er im Ferrari-Motorhome verschwand. Die familiären Sorgen
ließ er sich nicht anmerken.
Im ersten Freien Training
fuhren die Williams Piloten Bestzeit. Ralf setzte sich mit 0,074 Sekunden
Vorsprung gegen seinen Teamkollegen Montoya durch. Zum Dritten, Mark Webber,
klaffte bereits eine Lücke von mehr als sieben Zehntelsekunden! Den favorisierten
Ferrari-Piloten gelang nicht nur das denkbar knappe Eindringen in die Top Ten,
Michael und Rubens fuhren auf die Tausendstelsekunde identische Zeiten. Für
beide blieben die Uhren bei 1:23,057 Minuten stehen. Barrichello hatte dabei
die Nase vorn, da er den Wert vorgelegt hatte und Michael lediglich nachzog.
Am frühen Nachmittag,
während des ersten Qualifyings, setzte sich die rote Hausmacht jedoch durch.
Aus Sicht der Scuderia, die den überfälligen ersten Saisonsieg heimfahren
wollte, lief alles nach Plan: Platz eins für Michael, Rang zwei für
Barrichello, dessen Zeit Ralf allerdings um nur 0,111 Sekunden verpasste.
So kam es nicht
überraschend, dass sich Michael samstags vor seinem jüngeren Bruder – der
vormittags nach einem Dreher ausgangs der Variante Alta in der Pistenbegrenzung
gelandet war – die Pole-Position sicherte. Nur 0,014 Sekunden trennten die
beiden. Die Abstände waren insgesamt recht knapp: Fernando Alonso fehlten als
achtem gerade einmal 0,842 Sekunden auf den Champion. Auffällig war noch etwas
anderes. Neben den beiden Ferraris vertraten lediglich die zwei BAR die
Bridgestone-Kundschaft in der Top-Ten.
Nach dem entscheidenden
Qualifying hakten Michael und Ralf ihre Debriefings mit den Ingenieuren im
Zeitraffer ab. Um 17:30 Uhr verließen beide gemeinsam mit ihren Ehefrauen das
Fahrerlager in Richtung Flughafen. Die Szene wandelte sich zur peinlichen
Groteske, als pietätlose Fotografen den Weg versperrten, denn das Motiv für die
Abreise war kein Geheimnis: Sie wollten Abschied von ihrer Mutter nehmen, deren
Zustand keinerlei Hoffnung mehr lies. Ihr Privat-Jet schwebte abends um 22:30
Uhr wieder ein…
Am Sonntagmorgen betrat Ralf
mit seiner Frau Cora das Fahrerlager in schwarz gekleidet. Michael folgte etwas später in Begleitung von
Corinna und Jean Todt. Die Gesichtszüge des Weltmeisters waren ernst, eine
Sonnenbrille verbarg die Augen. Fans von den oberen Rängen der Tribüne Variante
Bassa – von dort hatte man nach hinten schauend Einblick in den Eingangsbereich
des Paddock – skandierten: „Michele – Michele – Michele! Offenbar waren sie
nicht über den Zustand der Mutter informiert. Michael zeigte Verständnis, hielt
kurz inne, wendete sich den Fans zu und winkte. Dann verschwand er in Ferraris
rollendem Hauptquartier. Wenig später wurde bekannt: Elisabeth Schumacher war
in den frühen Morgenstunden an einem tückischen Krebsleiden verstorben.
Jean Todt und Frank Williams stellten es Michael und Ralf darauf hin frei, ob
sie am GP von San Marino teilnehmen wollten. Prompt begann die Diskussion
darüber, ob die beiden fahren „dürften“. Und natürlich fanden sich sofort
viele, die diese Frage mit einem klaren „Nein“ beantworteten. Nur, so
wurde argumentiert, extrem seelenlose und geldgierige Menschen könnten ihrem Beruf
nachgehen, wenn der Tod der eigenen Mutter erst wenige Stunden zurück liege. Im
Vergleich zu diesen Stimmen, die sich montags in diversen Zeitungen gedruckt
wiederfanden, verhielten sich die Blockade-Fotografen am Vortag geradezu
sensibel…
Tatsächlich konnte diese Frage nur ganz alleine und individuell von Michael und
Ralf beantwortet werden. Beide entschieden sich - wie 1988 Andrea de Cesaris, den damals in
Imola der gleiche Schicksalsschlag traf – für eine Teilnahme am Rennen. Abends nach
dem Rennen teilte Michael die Gründe dafür mit: „Meine Mutter liebte es, auf
der Kartbahn zu sein. Sie liebte es, wenn wir in unseren Karts über die alte
Strecke in Kerpen düsten. Und sie liebte es, uns Rennen fahren zu sehen. Unsere
Eltern haben uns immer unterstützt. Sie haben uns ermöglicht, das zu tun, was
wir tun. Mama hätte gewollt, dass wir dieses Rennen heute fahren, da bin ich
mir sicher.“ Ob das zutrifft oder nicht, konnte niemand besser beurteilen als
die beiden selber.
Die Rennleitung befreite die beiden Trauernden von der Teilnahme an der
Fahrer-Präsentation, und als die letzten Vorbereitungen getroffen wurden,
erinnerten äußerlich nur die Mienen der Betroffenen, der Trauerflor am rechten
Oberarm des Ferrari-Stars und Ralfs Helm mit zusätzlichem schwarzen Rand an das
tragische Ereignis der letzten Nacht. Ungewöhnlich früh für Michael fuhr dieser
in die Startaufstellung und blieb die ganze Zeit in seinem Auto sitzen. Seine
Mechaniker standen um seinen Ferrari herum und schotteten ihn zusätzlich von
den lästigen Fotografen ab.
52.000 Zuschauer hatten sich
versammelt, als der Motorenlärm Sekunden vor dem Start anschwoll, während die
fünf roten Lichter der Startampel nacheinander eingeschaltet wurden. Die Spannung
war auf dem Siedepunkt, dann verloschen die roten Punkte und das Feld ging auf
die 62-Runden-Reise. Vorne beschleunigte Ralf seinen älteren Bruder aus.
Dahinter folgten Barrichello, Montoya, Raikkonen und Alonso.
Schnell wurde deutlich, dass die beiden führenden Piloten nicht angetreten
waren, um im Gedenken an ihre Mutter einige Ehrenrunden zu drehen. Michael
setzte Ralf gewaltig unter Druck – doch der hielt dagegen. Nach vier Umläufen
schien sich der Champion endlich durchsetzen zu können. Bei Start-und-Ziel
betrug der Rückstand kaum sichtbare 0,098 Sekunden… Doch Ralf behielt die Nase
vorn. Zweikämpfe dieser Art kosten bekanntlich Zeit – entsprechend ließ sich
Barrichello, dem Montoya im Nacken saß, nicht abschütteln. Erst dahinter
klaffte nach zehn Runden eine Lücke zu Raikkonen und Alonso.
Das Bild an der Spitze änderte sich erst, als Ralf nach 16 Umläufen seinen
ersten Routine-Stopp – Standzeit: 6,4 Sekunden – einlegte. Jetzt hatte Michael
freie Fahrt. Und davon machte er nach allen Regeln der Kunst Gebrauch. Er
drehte die 17. Runde in 1:22,491 Minuten. Das war die schnellste Runde des
Tages. Dann holte auch er Benzin und Reifen, in 8,2 Sekunden war der Job
erledigt.
Nun führte zwar Raikkonen vor Coulthard, beide waren noch nicht an den Boxen,
dahinter aber folgten die Geschwister in neuer Reihenfolge. Für den Platztausch
war aber nicht nur Michaels Sprint verantwortlich, denn dieses Plus ging durch
die relativ lange Standzeit verloren. Ralf erwischte beim Anfahren nicht direkt
den ersten Gang.
Als nach 22 Umläufen die Silberpfeile ihren ersten von nur zwei Service-Stopps
hinter sich hatten, führte Michael mit 6,2 Sekunden Vorsprung vor seinem
Bruder. Dahinter lauerten Barrichello und Raikkonen in Schlagdistanz, dann –
mehr als vier Sekunden hinter dem Finnen – folgte Montoya.
Als die zweite Service-Welle der Drei-Stopper anrollte versagte die Tankanlage
beim Versuch, Montoyas FW25 mit Treibstoff zu versorgen. Zwei Umläufe nach dem
Malheur, zum Ende der 32. Runde, floss der Sprit endlich. Chancen auf eine gute
Platzierung konnte sich der Kolumbianer damit abschminken. Es zeichnete sich
ein Kampf der unterschiedlichen Strategien ab, bei dem Ralf wegen dem immer
größeren werdenden Rückstand auf seinen Bruder keine Rolle mehr spielen sollte.
Michaels neuer Gegner lautete Raikkonen.
Nach seinem zweiten Boxenstopp lag Kimi nur noch knapp hinter dem Champion. Die
letzte Service-Runde würde die Entscheidung bringen, das war allen Beteiligten
und Zuschauern klar.
Raikkonen kam in Runde 44 als erster zum
Nachtanken und Reifenwechseln herein, verlor dabei allerdings etwas Zeit beim Wiederanfahren.
Aber auch für Michael lief es nicht Ideal. In derselben Runde unterlief ihm ein
kleiner Fehler als er zu hart am pushen war. In einer Kurve wurde er zu weit
nach außen getragen und landete mit dem halben Auto auf dem Grünen neben der
Strecke. Eiskalt blieb Michael auf dem Gas und verlor so nur minimal Zeit. Da Kimi
in den darauffolgenden Runden wegen einem schwereren Auto die Zeiten von Michael
nicht mitgehen konnte änderte sich auch fünf Runden später nach dem dritten und
letzten Boxenstopp des Champion nichts an der Reihenfolge an der Spitze. Mit
fast 20 Sekunden Vorsprung kam Michael wieder auf die Strecke zurück.
Auch Barrichello wurde Opfer eines verpatzten Stopps. Bei seinem dritten Halt
ließ sich der Zentralverschluss des Rades nicht festziehen. Mehrmals musste der
F2002 wieder aufgebockt werden, bevor der Südamerikaner nach 13,3 Sekunden
wieder Gas geben konnte. Rubens musste von Glück sprechen, dass er sich anschließend
an Ralf - dessen dritter Reifensatz offensichtliche Grip-Probleme hatte – noch vorbei
kämpfen konnte. Zum Zwei-Stopper Raikkonen schloss er zwar in der Schlussphase
locker auf, überholen konnte er ihn allerding nicht.
Michael ließ sich auf seinen letzten Runden im alten F2002 reichlich Zeit. Sein
Vorsprung schmolz mit jeder noch zu fahrenden Runde. Von den 20 Sekunden
blieben am Ende nur noch 1,8 Sekunden übrig. Hinter den drei Erstplatzierten
kamen Ralf, Coulthard, Alonso, Montoya und Button in die Punkte.
Bei der Siegerehrung
verdiente sich das Publikum einen Extrapreis: Keine Spur von
Party-Stimmung - man nahm Rücksicht auf
die Gemütslage des Siegers. Denn kaum hatte die Konzentration nachgelassen, die
notwendig war, um einen F1-Boliden mit einem Durchschnittstempo von über 200
km/h am Stadtrand von Imola zu bewegen, kamen bei Michael natürlich die
schwarzen Gedanken zurück. Während der Sieger-Zeremonie, an der er trotz allem
teilnahm, sprach sein Gesicht Bände. 18 Minuten später machte er sich mit
Corinna auf den Weg Richtung Heimat; die FIA hatte in offiziell von der
obligatorischen Pressekonferenz, bei der die drei Erstplatzierten Piloten Rede
und Antwort stehen mussten, suspendiert.
Quellen: FIA Saison Review 2003. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.
15. Rennen der Saison '03
Der Große Preis der USA in Indianapolis
28.September 2003
Eine bis dato turbulente
Saison lag hinter Michael. Nach seinem Imola Erfolg folgten zwei weitere Siege in
Spanien und Österreich, ein dritter Platz in Monaco und ein Sieg in
Kanada. Der Sommer jedoch hatte kaum etwas Positives für Michael zu bieten.
Auch wenn er die WM-Führung, die er nach dem Kanada Rennen erobert hatte,
halten konnte – mehr als ein dritter Platz in Frankreich war nicht drin. Den Absoluten
Tiefpunkt bildete der achte Rang in Ungarn.
Doch was schon keiner mehr geglaubt hatte trat ein: Michael gewann ein Rennen
nach Ungarn den Grand Prix von Monza. Er meldete sich zurück, und wie! Mit Pole,
Start-Ziel-Sieg und der schnellsten Rennrunde und was noch viel wichtiger war:
Beim nächsten Rennen in Indianapolis konnte er nun unter bestimmten Bedingungen
sogar schon vorzeitig Weltmeister werden.
Ganz anders als in den
weiten Gebieten Europas, war der Sommer im US-Bundesstaat Indiana grauenvoll
verlaufen, was das Wetter betraf: Kalt, nass und stürmisch. Ende August fielen
in und um die Hauptstadt Indianapolis herum innerhalb von nur 24 Stunden knapp
18,3 Zentimeter Regenwasser. Damit wurde ein 108 Jahre alter Rekord geschlagen.
Bürgermeister Bart Peterson erklärte die Region zum Notstandsgebiet. Auch der
Indianapolis Motor Speedway stand unter Wasser, aber die Pistenverwaltung
bestätigte umgehend, dass der Austragung des Grand Prix der USA – nicht ganz
einen Monat war es bis zum entsprechenden Termin – nichts im Wege stand. Woher
diese Gewissheit genommen wurde, blieb ein Geheimnis. Tatsächlich sollte das
Rennen problemlos, aber keineswegs auf trockenem Asphalt, über die Bühne gehen.
Die Titelaspiranten gaben
sich Donnerstagmorgen entspannt. In gewohnter Lässigkeit gab Juan Pablo Montoya
zu Protokoll: „Die Situation ist doch unverändert. Ich liege drei Punkte
zurück. Also werde ich am Sonntag alles tun, um diese Lücke kleiner zu machen.
Ich werde versuchen, mit Michael in Kontakt zu bleiben und Kimi weiterhin
hinter mir zu halten. Sicherlich wird es interessant, aber ich rechne mir ein
gutes Resultat aus.“
Kimi Raikkonen, der sein Geld als Redner wohl nicht verdienen könnte, teilte
mit sparsamsten Lippenbewegungen mit: „Ich habe mich auf dieses Rennen
vorbereitet, wie auf alle anderen Rennen auch. Unser Auto sollte hier besser
mit den Williams und Ferrari mithalten können als beim letzten Rennen. Das
hoffe ich jedenfalls.“
Auch Michael blieb cool, als er sagte: „Meiner Meinung nach haben wir uns auf
dieses Rennen gut vorbereitet. Viele Leute weisen darauf hin, dass Ferrari hier
immer stark war. Dafür kann ich mir wenig kaufen, den Vergangenheit bringt mir
hier auch keinen Vorteil. Was alleine zählt, ist die Gegenwart. Wir sind jetzt
in einem WM-Stadium, in dem weniger geredet als gehandelt werden sollte.“
Selbstverständlich wollte er seinen Vorsprung ausbauen, um in Suzuka aus
eigener Kraft Champion werden zu können.
Natürlich zählten auch die Reifen mit zu den Themen, die im Vorfeld einer
möglichen Vorentscheidung im Titelkampf diskutiert wurden. Bei herrlichem
Spätsommerwetter blinzelte Williams-Ingenieur Frank Dernie in Richtung Sonne
und sagte: „So muss es bleiben. Das wären für uns ideale Bedingungen. Es darf
weder kälter werden noch regnen.“ Damit spielte der Brite auf die Hitzeempfindlichkeit
der Bridgestone-Trockenreifen an. Auf die Tatsache, dass die Michelins aufgrund
ihrer relativ weichen Flanken in der überhöhtem Zieleingangskurve Nachteile
bringen könnten, hatten die Franzosen rechtzeitig reagiert und Pneus mit
steiferen Flanken gebacken.
Freitags ging die Provisorische Pole an Jarno Trulli. Bei wechselndem Wetter,
mal nass, mal trocken landete Michael, der zuerst auf die Piste gehen musste
nur auf Rang acht, Montoya wurde fünfter und Kimi landete sogar nur auf neun. "Die
Fahrer zu Beginn waren leicht benachteiligt, besonders nach dem Regen heute
Morgen, wodurch die Strecke dreckig war und wenig Grip bot", erklärte
Michael. "Das erklärt meine Zeit und meine Platzierung. Wenn man sich die
Zeit von Rubens und Ralf anschaut, so sieht man, dass wir eng beieinander
liegen. Am Morgen war ich mit der Leistung des Autos im Trockenen zufrieden,
aber durch den Regen können wir nicht viele Rückschlüsse aus dem Setup ziehen.
Hoffentlich haben wir morgen alle dieselben Bedingungen."
Der Samstag begann für
Michael allerdings auch nicht besser. Erst konnte er im dritten freien Training
gar nicht fahren, weil er seinen Ferrari schon in der ersten Runde am Rand
abstellen musste und die Konkurrenz nur neben der Strecke beobachten konnte und
dann landete er im entscheidenden Qualifikationstraining nur auf Rang sieben.
Kimi Raikkonen hingegen konnte sich die zweite Pole seiner F1-Karriere sichern.
Als vierter sollte Montoya immerhin aus der zweiten Reihe starten dürfen. Mit
Blick auf einen möglichen Suzuka-Krimi schien die Startaufstellung ideal zu
sein. Aus der Perspektive des Titelverteidigers war sie schlicht eine kleine
Katastrophe.
Über Nacht waren die
Temperaturen deutlich gesunken. Knapp 45 Minuten vor dem Start zogen dunkle
Wolken auf. Wenig später begann es zu tröpfeln. Auch einige Hagelkörner fielen.
Die Rennleitung reagierte um 12:25 Uhr, indem sie offiziell mitteilte, dass
sich das Wetter verändert hatte. Die Teams konnten nun kleinere
Abstimmungs-Modifikationen an den Boliden – den Frontflügeln, die Kühlung und die
Öffnung in den Sidepods betreffend – vornehmen.
Pünktlich rollte das Feld in die Einführungsrunde. Dann der Start! Vorne ließ
Pole-Setter Raikkonen nichts anbrennen. Vor Oliver Panis lenkte der Finne
seinen Silberpfeil in Turn 1 ein. Dahinter Ralf und Michael. Drei Plätze hatte
der Titelverteidiger auf den ersten Metern gutmachen können. Der große
Verlierer am Start war Montoya, der fand sich auf Rang sieben wieder.
Im Verlauf der zweiten Runde konnte Raikkonen seinen Vorsprung vor Panis von
1,6 auf 2,4 Sekunden ausbauen, während der Franzose seinerseits unter
zunehmenden Druck durch Ralf geriet. Inzwischen hatte es in einigen
Streckenabschnitten leicht zu regnen begonnen. Lange konnte der Toyota-Pilot
nicht mehr Wiederstand leisten. In Runde drei musste er dem Verfolger weichen.
Knapp drei Sekunden später attakierte am selben Schauplatz, dem Turn 1, Montoya
den Vorjahressieger Barrichello. Der Angriff erfolgte auf der Außenbahn. Der
Brasilianer hielt dagegen. Für wenige Meter lagen die beiden Boliden auf
Parallelkurs. Dann, in Turn 2, berührten sich die Rennwagen. Während Montoya
seine Fahrt, jetzt zusätzlich hinter die beiden Renault zurückgefallen,
fortsetzen konnte, kreiselte der Ferrari in den Kies – Barrichello war „out“
und Montoya musste einige Zeit später einmal zur Strafe durch die Box fahren zu
einem Zeitpunkt in dem der Regen stärker wurde und er eigentlich hätte auf
Regenreifen wechseln müssen.
Inzwischen hatte sich einiges auf der Piste getan: Zu Beginn der fünften Runde
schob sich Michael an Panis vorbei auf Platz drei. Dabei gelang es ihm, sich am
Ende der Start-und-Zielgeraden – wo seit dem Montoya-Barrichello-Zwischenfall
Warnflaggen geschwenkt wurden, unmittelbar vor dem ersten „Gelb-Wedler“ an dem
Toyota vorbeizuschieben. Prompt wurde die Frage aufgeworfen, ob der Champion
illegal unter Gelb überholt hatte. Die Antwort lautete eindeutig: Nein! Die
Regeln sagten klipp und klar, dass das Überholverbot nicht beim Anblick gelber
Flaggen in Kraft trat, sondern erst in deren Höhe. Den Stewards waren diese Paragraphen
bekannt und entsprechend ließen sie Michael unbehelligt. Es regnete nun stärker
und keine Position schien annähernd stabil bezogen, sah man einmal von
Raikkonen und Ralf ab, denn jetzt fiel Michael im Verlauf von nur einer Runde
hinter DC, Montoya und Alonso zurück. Erinnerungen an Melbourne wurden
wach: Auf nassem Pistenbelag waren die Trockenreifen des Herstellers Michelin
den Bridgestone-Produkten deutlich überlegen.
Acht Runden, gut zehn Prozent der Distanz, waren gefahren. Da begann die Piste
abzutrocknen. Endlich schien etwas Ruhe einzukehren. Die Piloten gönnten sich
und den Fans eine kurze Phase relativer Ruhe. Außer Michael, der hatte es nurn wieder eilig
und drehte auf der trockenen Piste eine schnellste Runde nach der anderen. Nach
15 Runden läutete Ralf die erste Serie geplanter Boxenstopps ein. Zwei Umläufe
später brachten Coulthard, Montoya und Heidfeld ihre Crews auf Trab. Weil bei
Williams wegen eines klemmenden Tankrüssels die zweite Anlage aktiviert werden
musste, parkt Montoya 15,6 Sekunden lang an der Box. Nun regnete es wieder.
Raikonnen kam an die Box blieb aber den Trockenreifen treu, während sich
Frentzen Regenreifen holte. Und es blieb hecktisch. 21 Runden waren gefahren,
als Michael seinen Stopp einlegte. Die Regentropfe fielen inzwischen wesentlich
dichter. Aber Michael – „Ich wollte wegen des stärker werdenden Regens in
letzter Sekunde umdisponieren, verzichtete aber darauf, weil ich zu große
Unruhe im Team befürchtete“ – ließ sich den bereitliegenden Satz Trockenreifen
montieren. Diese Entscheidung war falsch. Eine Runde später musste er erneut an
die Box um sich Intermediates zu holen. Ralf war inzwischen mit seinen
Trockenreifen in Führung liegend von der Bahn gekreiselt, gleiches Unglück
ereilte Webber der kurz in Führung lag. Eine weitere Runde später kamen Raikkonen
und das Ranault-Duo zu ihren Mechanikern. Montoya fuhr zu diesem Zeitpunkt zwar
auch durch die Boxen, durfte aber wie schon erwähnt keine Reifen wechseln, weil
er erst seine Strafe absitzen musste. Erst eine Runde später durfte auch er auf
Regenreifen wechseln.
Damit bot sich an der Spitze nach 23 Runden folgendes Bild: Button führte mit
knapp einer Sekunde –Tendenz steigend – Vorsprung vor Frentzen. Als Drittem fehlten
Wilson 4,5 Sekunden auf den BAR-Piloten. Alle drei hatten bei ihren Stopps
alles richtig gemacht. Raikkonen folgte mit weiteren zwei Zehntelsekunden
Rückstand. Dahinter zirkulierten Coulthard, Alonso und Michael, der 10,4
Sekunden auf Button gutmachen musste, wenn er das Rennen gewinnen wollte.
Nun auf nassem Asphalt, setzte sich das Paket Michael/Ferrari/Bridgestone
souverän durch: Innerhalb von 15 Runden kämpfte er sich auf Platz eins vor.
Wenig später explodierte Buttons Motor spektakulär. Zu diesem Zeitpunkt war die
Rennstrecke bereits wieder soweit abgetrocknet, dass der Wechsel auf
Trockenreifen möglich war.
Spitzenreiter Michael fuhr seinen Stint jedoch planmäßig zu Ende. Die heißlaufenden
Intermediates kühlte er immer wieder auf den feuchten Flecken neben der
Ideallinie ab. Erst nach 49 Runden – nun
führte er vor dem Sauber-Duo Frentzen/Heidfeld – legte er seinen letzten Stopp
ein. Für eine Runde übernahm Frentzen die Führung, dann musste auch er, wie
wenig später Heidfeld, an die Boxen.
Michael war zu dieser Zeit voll auf WM-Kurs. Doch während der letzten 22 Runden
eroberte Raikkonen noch Platz zwei. Die WM-Entscheidung war auf Suzuka
verschoben. Montoya war hingegen aus dem Kreis der Titelanwärter ausgeschieden.
„Ein großartiger und ein wichtiger Sieg! Auch der Rennausgang für meine
Konkurrenten ist wichtig, was meine Position in der Weltmeisterschaft angeht.
Jetzt bin ich so erleichtert. Das ist ein sehr emotioneller Tag für mich,
einfach fantastisch. Es war alles drin keine großartige Performance im
Qualifying, ein guter Start, dann war ich wieder im Rennen, bin im Regen mit
den Slicks zurückgefallen, zum Schluss hat es wieder zu regnen begonnen. Hier
in der entscheidenden Phase der Weltmeisterschaft zu gewinnen, bedeutet mir
viel. Ich bin all den Jungs bei Ferrari dankbar, denn sie haben uns zu diesem Erfolg
getragen. Ich bin sehr dankbar“, war Michael nach dem Rennen happy. „Aber ich
weiß auch, dass noch alles möglich ist.“ Ein Punkt fehlte ihm noch auf dem Weg
zum sechsten WM-Titel.
Ein Spaziergang war das Rennen in Suzuka dann keineswegs. Michael ging von Startplatz 14 aus ins Rennen, nachdem
er im Qualifying vom Regen überrascht wurde. Der McLaren-Pilot hatte mehr
Glück, er stand auf acht. Der Finne beendete das Rennen als Zweiter, während
Michael – der in Runde sechs eine neue Nase holen musste und in Runde 41 nach
einer Vollbremsung mit Bremsplatten zu kämpfen hatte – als Achter die
gewürfelte Flagge sah. Mit zwei Pünktchen Vorsprung wurde er der erste
sechsfache Weltmeister in der Geschichte der Formel 1.
„Mir fehlen im Moment ein bisschen die Worte, denn das war ein schwieriges
Jahr, ein schwieriger letzter Saisonabschnitt und das Rennen heute war eines
meiner härtesten", stammelte der alte und neue Weltmeister. „Man hat uns
am Anfang des Jahres schon abgeschrieben, aber wir haben nicht aufgegeben. Das
Team kämpft immer und das ist seine größte Stärke." Ferrari bezeichnete Michael
in der Euphorie als "große Familie", weshalb er sich bei jedem
Mechaniker einzeln mit einer Umarmung bedankte, obwohl er sich unmittelbar nachdem Fallen der Zielflagge "leer und ausgelaugt" fühlte: „Es ist irgendwie eigenartig, denn sonst habe ich den Titel meistens mit einem Sieg
gewonnen, aber heute wurde ich nur Achter. Meine Gefühle sind gemischt",
so Michael. „Nachdem ich meine Nase verloren hatte, attackierte ich voll, denn
ich wusste von Montoyas Führung und dass die McLarens hinter Rubens waren. Nach
der Kollision ging alles ein wenig drunter und drüber und es war ein komisches
Rennen, als ich mich durch den Verkehr kämpfen musste speziell gegen da Matta
und Ralf. Ich wusste, dass ich Achter werden muss, denn in der Formel 1
passieren die unglaublichsten Dinge und obwohl Rubens in Führung lag, hatte ich
das schlimmste Szenario vor Augen.“ In den ersten Interviews erklärte er
außerdem, dass er ungemein angespannt war ganz im Gegensatz zu den Vortagen: „Nach
dem Unfall mit da Matta hatte ich einen riesigen Bremsfleck auf meinem Reifen
und dadurch wurden die Vibrationen so stark, dass ich entlang der Geraden sogar
Probleme mit der Sicht hatte. Außerdem machte ich mir Sorgen über einen
Reifenschaden und ich wollte das Auto nur noch ins Ziel tragen."
Es folgte eine irre WM-Party bei der so einiges zu bruch ging und sich der ganze Druck der Saison, all die dramatischen Ereignisse, noch einmal wiederspiegelten. Fotos davon gingen noch Wochen später um die Welt: Darauf zu sehen Michael mit seligem, wenn auch leicht glasigem Blick,
mit offenem Hemd des Formel-1-Kollegen Oliver Panis, eine dicke Zigarre im
Mund, wie er mit einem Gabelstapler durch das Fahrerlager kurvt. Wie ein
Unruhegeist polterte Michael gemeinsam mit Corinna, alten und neuen Freunden
durch diese Nacht, zog vom Fahrerlager über das offizielle
Ferrari-Festtags-Dinner in den Hotel-Park mit den Karaoke-Hütten, nie
nachlassend, vor Energie berstend, wie aufgezogen. Als würde die innere
Anspannung ihn noch immer nicht loslassen. Die Nacht wurde lang…
Quellen: FIA Saison Review 2003. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Sabine Kehm "Michael Schumacher", 2006.
10. Rennen der Saison '04
Der Große Preis von Frankreich in Magny-Cours
4.
Juli 2004
Nach Saisonschluss 2003
konnte sich kaum jemand vorstellen, dass das rote F1 Märchen ein weiteres Jahr
anhalten würde. Zum anderen machte Williams-BMW während der Testfahrten mit dem
neuen FW26 wiedeholt durch schnelle Rundenzeiten und pannenfreie Auftritte auf
sich aufmerksam. Selbst in Maranello herrschte Skepsis. Nach dem Doppelsieg von
Melbourne waren aber alle Zweifel wie weggeblasen. Von da an regierte (fast) nur
noch die Farbe Rot und da insbesondere Michael. Gnadenlos fuhr er alles in
Grund und Boden. Acht Siege aus neun Rennen konnte er bis zur Saisonhalbzeit
sein eigen nennen. Am neunten Sieg scheiterte er in Monaco an der Tunnelwand,
als das Safety-Car eigentlich das Feld sicher um den Kurs leiten sollte.
Michaels Helm musste daraufhin in der Ferrari Box dran glauben – denn den hatte
er aus Ärger über Montoya gegen die Wand geworfen.
Fuhr man mal nicht alles in Grund und Boden packte man einfach eine bessere
Strategie aus und gewann trotzdem. So geschehen in Kanada – als man in der
Qualifikation bluffte – oder in Frankreich als man sich etwas ganz besonderes
hatte einfallen lassen…
Nach dem Rennen in Indianapolis
war man zurück auf europäischem Boden. Wie angekündigt brachten McLaren und Williams
überarbeitete Boliden mit nach Magny-Cours.
Einen Tag vor Trainingsbeginn wurde allerdings nicht über Kohlefaser, Kevlar
und Abtriebswerte diskutiert. Max Mosley, seines Zeichens Präsident der FIA,
ließ aus Paris wissen, dass er sich im Oktober von seinem Amt zurückziehen
wolle.
Michael hatte hingegen andere Sorgen. Und die galten seinem Bruder Ralf. Erst
vor wenigen Tagen wurden die Haarrisse
in den beiden Brustwirbeln entdeckt die er sich bei seinem Unfall in Indianapolis
zugezogen hatte. „Ralf“, erklärte der Champion im Ferrari-Motorhome, „hat eine
gute Moral, aber das Untersuchungsergebnis hat ihn doch ein wenig geschockt.
Jetzt hat natürlich die Therapie Vorrang. Ralf muss sich Zeit nehmen. Er ist
ein schneller Pilot und braucht nichts zu beweisen. Es gibt keinen Grund,
früher wieder ins Auto zu steigen als unbedingt notwendig. Für diesen Job muss
man 100-prozentig fit sein.“
Traditionell zog Renault beim Heim-GP der blauen Equipe alle Register. Auch in diesem
Jahr kaufte der Staatskonzern die Tickets kompletter Tribünen auf, um sie an
Mitarbeiter, Kunden und andere Geschäftspartner zu verschenken. Tatsächlich
rechneten sich die Blauen aus Enstone beziehungsweise Viry-Chatillon gute
Chancen aus, das Rennen am Sonntag für sich entscheiden zu können.
Am Freitag, 13 Minuten war die erste Trainingssitzung alt, begann es zu regnen.
Zwar ließen sich alle 25 Akteure auf der Piste sehen, doch aufgrund der
ungünstigen Witterungsbedingungen verzichteten Massa, Alonso, Fisichella, Coulthard,
Montoya, Raikkonen und Webber darauf, auch nur eine gezeitete Runde zu drehen.
Ganz oben in der Zeitenliste standen die Namen Barrichello und Michael – das Duo
erwischte allerdings noch den trockenen Asphalt, was einen Vergleich mit der
Konkurrenz unmöglich machte. Während der zweiten 60 Minuten nahm das Geschehen
dann seinen normalen Lauf. Die Bestzeit sicherte sich der Brasilianer Cristiano
da Matta – Michael wurde Fünfter.
Auch wieder mit von der Partie war Michaels Physiotherapeut Balbir Singh, der
weder in Montreal noch in Indy mit von der Partie war. „Es war ein wirklich
komisches Gefühl, diese beiden Rennen am Fernseher zu verfolgen“, gestand der
Inder, „denn seit Michaels Beinbruchpause im Jahr 1999 habe ich keinen Grand
Prix ausgelassen. Auf dem Bildschirm sah ich all die bekannten Gesichter. Es
war wirklich merkwürdig – wenn ich einen Knopf hätte drücken können, um mich
ins Fahrerlager zu transportieren, ich hätte ihn gedrückt.“
Weder das dritte noch das
vierte freie Training ließen ernsthafte Rückschlüsse zu, was den Ausgang des
Qualifying betraf. Nach dem Kampf um die besten Startplätze war für Renault die
Welt noch in Ordnung: Fernando Alonso stand auf der Pole. Dahinter
komplettierten Michael, Coulthard, Button, Trulli, Montoya, Sato, Gene,
Raikkonen und Barrichello die Top-Ten. Gerade einmal 0,780 Sekunden trennten
die Piloten der ersten fünf Startreihen. Die Startaufstellung hatte wegen der
unterschiedlichen Tankfüllung allerdings nur eine geringe Aussagekraft über das
wahre Kräfteverhältnis.
Seitdem das Warm-up aus dem
Programm gestrichen wurde, waren die langen Stunden vor dem Start die ideale
Zeit, um zu fachsimpeln und nach den News zu jagen, die den Journalisten nicht
freiwillig von den PR-Spezialisten der Teams auf die Nase gebunden wurden. So
verriet eine undichte Stelle, auf dem Strategie-Papier der Scuderia habe auch
die Möglichkeit einer Vierstopp-Variante gestanden. Die Nummer klang gewagt,
aber tatsächlich hatte einer der Ferrari-Ingenieure bereits im Februar auf die
Frage nach den für 2004 möglichen Strategien geantwortet: „Wo bisher einmal
gestoppt wurde, wird es zwei Stopps geben, wo es bereits zwei waren, wird es
einen dritten gebe. Theoretisch sind sogar vier Stopps vorstellbar – aber wenn
überhaupt, dann nur in Magny-Cours.“
Am Renntag erwies sich der R24 des Spaniers Fernando Alonsos als pfeilschnell.
Startnummer acht ließ sich beim Start von niemandem die Butter vom Brot nehmen
und nutzte die beste Ausgangsposition optimal. Michael heftete sich direkt an
die Fersen des Pole-Setters, während DC den Start verpennt hatte und erst
hinter Trulli und Button als Fünfter Fuß fasste.
Während der ersten zehn Umläufe versuchte der Spitzenreiter vergeblich die
Flucht nach vorn. Er drehte zwar unmittelbar hintereinander sechs Mal die
jeweils schnellste Rennrunde, doch der Ferrari von Michael wollte im
Rückspiegel des Renault nicht kleiner werden. Andererseits hatte Michael keine
Chance, den Spanier zu überholen, obwohl er – mit weniger als einer Sekunde
Rückstand – durchaus in Schlagdistanz lag.
Elf Runden waren gefahren da bog der Champion bereits zu seinem ersten Stopp in
die Boxengasse ab und überließ damit dem Renault-Duo, das durch 6,4 Sekunden
getrennt war – die Doppelführung. Anschließend wurde das Feld kurz durcheinander
gewirbelt, und als die erste Boxenstopp-Serie vorüber war, war auf den ersten
fünf Plätzen die alte Reihenfolge wieder hergestellt.
Michael folgte Alonso weiter wie ein Schatten und ließ sich nicht abschütteln.
In Runde 29 kam er erneut zum Boxenstopp. Danach gab er Gas und fuhr frisch
betankt und mit neuen Reifen zwei Mal die schnellste Rennrunde - inklusive
Streckenrekord. Und als Alonso in Runde 32 dann mit seinem Boxenstopp fertig
war übernahm Michael erstmals die Führung in diesem Rennen.
War der Abstand zwischen Alonso und Michael vorher nie viel größer als eine
Sekunde gewesen, so wuchs er nun in umgekehrter Reihenfolge mit jeder Runde
immer um ein paar Zehntel mehr an.
Schon in Runde 42 besuchte Michael erneut seine Boxencrew – 6,4 Sekunden
Standzeit. Das Erstaunen war groß, sollte es tatsächlich das erste Mal in der
Geschichte der Formel 1 einen geplanten vierten Boxenstopp geben? Ja, denn der
Boxenstopp von Michael war viel zu kurz um noch 28 Runden mit dem Tankinhalt zu
Ende fahren zu können.
Nachdem Alonso in Runde 46 bei seinem dritten und letzten Service war, hieß es
für Michael nur noch Gas geben um den nötigen Vorsprung für seinen letzten und
vierten Boxenstopp herauszufahren.
Trotz des doch eher ereignislosen Grand Prix - 18 der 20 gestarteten Piloten
kamen ins Ziel und auf der Strecke tat sich praktisch nichts – wurde es zu
einem denkwürdigen Wochenende. Denn Michael legte tatsächlich vier Stopps ein. Am
Ende der 57. Runde hatte Michael einen Vorsprung von 21,790 Sekunden herausgefahren
und kam erneut an seine Box. Als er wieder auf die Strecke ging hatte er immer
noch einen Vorsprung von etwas über 7 Sekunden auf Alonso.
Diese ungewöhnliche Strategie erwies sich als Schlüssel zum neunten Saison Sieg
im zehnten WM-Lauf der Saison. Im Ziel hatte Michael immer noch satte 8,3 Sekunden
Vorsprung vor dem Spanier, der damit klar ein Opfer der roten Strategen wurde.
Ross Brawn erklärte: „Wir hatten ja nichts zu verlieren. Platz zwei war sicher,
Platz eins war möglich. Unsere einzige Chance war es, Michael von dem Renault
zu lösen, da der Ferrari seine Stärken im Windschatten nicht ausspielen konnte.
Vor dem Start ließen wir uns beide Türen - drei oder vier Stopps - offen. Erst
nach dem zweiten Boxenstopp legten wir uns endgültig fest.“ Also ein weiterer Geniestreich
von Ross Brawn? Nein, denn dieser gab die Lorbeeren weiter an Luca Baldisserri –
Michaels Renningenieur - der auf die Idee gekommen war.
Michael war natürlich absolut happy, wollte aber nicht so weit gehen zu behaupten,
er hätte den Erfolg alleine der Vierer-Strategie zu verdanken. „Vielleicht
hätte es auch mit drei Boxenstopps geklappt, aber dann hätte ich mir Alonso auf
der Piste schnappen müssen, was sicherlich recht schwierig gewesen wäre. Mein Vorteil
waren jedenfalls die Bridgestone Reifen, die jeweils zum Ende der Stints extrem
gut waren.“
Und weil Rubens Barrichello auf den letzten Metern mit einer Attacke noch Trulli
überraschen und überholen konnte gab es für Ferrari sogar noch einen Pokal mehr.
Auf dem Weg zu seinem siebten WM-Titel ließ sich Michael dank seiner seit 1991
gesammelten Erfahrung so schnell nicht aus der Ruhe bringen. Als dann aber nach
der Siegerehrung gefragt wurde, ob er den Sieg seinem Bruder widme, war der Ferrari-Star
für Sekundenbruchteile irritiert. Dann antwortete er: „Nö, so schlecht geht es
Ralf ja nun auch nicht.“
Für Michael wurde der
weitere Saisonverlauf zu einem nicht enden wollenden Traum in Rot. Doch ausgerechnet
in Spa, wo er seinen siebten Weltmeister Titel schon einfahren konnte, riss
seine Siegesserie. „Meine Freude kann ich noch gar nicht richtig ausdrücken,
das braucht seine Zeit. Es war ein wunderschöner Tag, den wollen wir nun feiern
und genießen. Natürlich hätte ich gerne den Titel mit einem Sieg geholt. Aber
wird waren im entscheidenden Moment nicht gut genug. So ist das Leben. Ich habe
in diesem Jahr so viele Rennen gewonnen, da war es klar, dass irgendwann mal
jemand anderes gewinnt. Das ist heute passiert. Ich bin auch so zufrieden mit
dem, was wir erreicht haben."
Immer wieder Spa: Sein erstes Rennen, sein erster Sieg und nun sein siebter
Titel. „Es ist irgendwas Spezielles, das mich mit Spa verbindet. Dafür gibt es
viele Gründe - und heute einen neuen. Hier die Meisterschaft zu entscheiden bei
unserem 700. Grand Prix, das ist etwas ganz, ganz Besonderes. Ich möchte allen
danken, die mich bis hier begleitet und unterstützt haben. Ich bin sehr stolz
darauf, diese Erfolge mit diesem Team gefeiert zu haben, das einfach
außergewöhnlich ist. Das ist es, was diese Empfindungen so stark macht. Es ist
ein fantastischer Moment."
Quellen: FIA Saison Review 2004. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.
4. Rennen der Saison '05
Der Große Preis von San Marino in Imola
24. April 2005
Das Team aus Maranello
entschied sich für die ersten Rennen mit dem Vorjahrsmodell anzutreten. Nach
desaströsen Leistungen in den ersten beiden Läufen beschlossen die Roten dann allerdings eher als
geplant den neuen F2005 einzusetzen. Doch nur selten fand die Scuderia mit den
Bridgestone Reifen die optimale Balance zwischen Performance und Beständigkeit,
sodass der Ferrari mitsamt Michael und Barrichello den Michelin bereiften WM
Konkurrenten von Renault und McLaren, im Verlauf der Saison unterlegen war.
Die Saison begann mit einem
lausigen Start in Australien. Michael, der sich nach einsetzendem Regen auf
seiner einzigen schnellen Runde - bedingt durch das neue Qualifyingformat - auf
Platz 18 qualifizierte, kollidierte im Rennen in der 42. Runde mit Nick
Heidfeld, beide Fahrer schossen ins Kiesbett, im Gegensatz zu Heidfeld konnte
Michael sich befreien, trotzdessen war er gezwungen den Wagen in der Garage zu
parken.
In Malaysia reihte sich
Michael hinter seinem Teamkollegen Barrichello der von Position 12 aus ins Rennen
ging ein. In der Hitzeschlacht von Sepang lieferte er sich ein sehenswertes
Duell mit den beiden BMW Piloten Mark Webber und Nick Heidfeld, am Ende reichte
es jedoch nur für Platz 7. Im folgenden Rennen in Bahrain schied Michael im
neuen F2005 mit einem Hydraulik Defekt aus. Folglich reiste Michael mit mageren
zwei WM-Pünktchen aus Malaysia in Imola an.
Die ersten freien Trainings fanden bei einem angenehm sonnigen norditalienischen Frühlingswetter statt,
welches den Fahrern die bestmöglichen Testbedingungen bot. Erste Anzeichen
eines Aufwärtstrends bei Ferrari waren zu erkennen. Michael beendet das erste
freie Training als Vierter und das zweite als Sechster. Beide Male führte Pedro de la Rosa
die Zeitenwertung an, er fuhr in seinen Läufen jedoch mit relativ leerem Tank.
Im Vorlauf zum Qualifying
setzte sich Michael mit 1,5 Sekunden gegen seinen Teamkollegen Barrichello und
Sauber Pilot Felipe Massa durch, auch wenn diese Zeit in Anbetracht der
Tatsache, dass auf der Strecke infolge der niedrigen Temperaturen nicht viel
gefahren wurde und er mit leerem Tank und frischen Pneus unterwegs, nicht sehr
aussagekräftig war.
Nicht nur nach außen hin,
war eine Steigerung des Ferrari's zu vernehmen, auch die Fahrer zeigten sich nach den Sessions
zufrieden. Michael gab sich zurückhaltend optimistisch. „Verglichen mit den
anderen sehen wir konkurrenzfähig aus, was ein gutes Zeichen für den Rest des
Wochenendes ist", so Michael. "Das Auto scheint in den meisten
Bereichen stark zu sein und der heutige Tag verlief gut. Mit dem Handling bin
ich zufrieden, ich hatte von Anfang an ein gut ausbalanciertes Auto. So konnte
ich auch viel Arbeit verrichten. Auf dieser Strecke ist es wichtig, ein Auto
mit guten Bremsen zu haben, das gut über die Kerbs kommt, und der F2005 scheint
diese Anforderungen zu erfüllen. Die Leistung von BAR-Honda war interessant,
aber wir müssen noch erfahren, ob sie mit Rennabstimmung unterwegs waren oder
ob sie wenig Benzin im Tank hatten. Ich denke, wir können für das Qualifying
sowie das Rennen zuversichtlich sein."
Des Weiterem kam Michael die
Anwesenheit seines Physiotherapeuten Balbir Singh zu Gute, dieser war zuvor aus
privaten Gründen nicht zu den GP gereist. Doch in Imola konnte er wieder für
das Wohlbefinden des 7- maligen Weltmeisters sorgen.
Nach seinem ersten Lauf im Qualifying landete Michael auf Platz 3 mit einem Rückstand von +0,374 Sec. auf
den provisorischen Pole-Setter Kimi Raikkonen dem Fernando Alonso mit gerade mal
+0.003 Sec. dicht auf den Fersen war.
Im zweiten Lauf am
Sonntagmorgen, lief es plötzlich nicht mehr wie in den Sessions zuvor. Die Sektorenzeiten
waren nur mäßig und in der Rivazza kam er von der Strecke ab. Er verlor dadurch 4
Sekunden. In der Addition lag Michael somit nur noch auf Rang 13. Die
Hoffnungen auf ein Podium oder einen möglichen Sieg waren flöten gegangen,
stattdessen musste sich das Team neu orientieren und auf eine Punkteplatzierung
hoffen. „Meine Runde sah ganz gut aus, bis ich zu weit nach außen abgetragen
wurde und in das Kiesbett ausweichen musste", erklärte Michael. „Das hat
klarerweise Zeit gekostet und danach waren auch noch meine Reifen schmutzig.
Definitiv kein guter Beginn des Renntags, aber wir werden sehen, ob wir noch in
die Punkte fahren können."
Souverän startete Kimi Raikkonen von der Pole und setzte sich innerhalb weniger Runden deutlich von
seinen Konkurrenten ab bis ihn sein Getriebe in Runde neun im Stich ließ. Michael
erwischte ebenfalls einen guten Start und zeigte sich kämpferisch, trotzdem
fand er sich erst mal nur auf Platz 11, hinter seinem Bruder Ralf, wieder. Ralf
setzte in der 21. Runde zum Tankstopp an. Michael konnte voll aufdrehen, doch
er fand sich schnell hinter dem im Vergleich zum stürmenden Michael
schleichenden Trulli wieder.
Er spulte fünf Runden mehr
in seinem Stint ab, Runde um Runde unterbot er, die von ihm aufgestellten
schnellsten Rundenzeiten und setzte sich mithilfe der Taktik gegen den
Italiener durch. 27 Runden fuhr Michael in seinem ersten Stint, umso
erstaunlicher seine Zeit im Samstags Qualifying und ärgerlicher der Fehler im
zweiten Teil, wie er später reflektierend zu erkennen gab: „Auf der einen Seite
bin ich natürlich zufrieden, aber es ärgert mich schon ein bisschen, wenn man
bedenkt, was ohne das Missgeschick im Qualifying hätte sein können."
Nun kehrte er als Drittplatzierter vor Alexander Wurz auf die Strecke zurück,
vor ihm Jenson Button mit einem Vorsprung von knapp 20 Sekunden. Innerhalb von
13 Runde eliminierte er diesen Rückstand. Unterdessen hatte Alonso getankt, für
Michael stand der zweite Stopp noch an, vorerst musste er sich aber mit Button
beschäftigten.
Fünf Runden folgte er Button. Als sie auf der Anfahrt in die Variante Alta auf
den zu überrundenden Nick Heidfeld aufliefen, nahm Button zu früh das Tempo
raus. Michael nutzte die Chance eiskalt und zeigte sein bis dato stärkstes
Manöver der Saison.
Dreizehn Runden vor Schluss trat Michael seinen letzten Stopp an - 6.1 Sekunden
dauerte der Stopp - da passierte Alonso den amtierenden Weltmeister und übernahm wieder die Führung. Den
Rückstand von 3 Sekunden nach seinem Stopp machte Michael innerhalb von 1 ½
Runden wett. Jetzt musste er nur noch eine Möglichkeit finden um Alonso – im
kränkelnden Renault - zu überholen.
Elf Runden klebte er am Heck des vor ihm fahrenden Alonso’s - die Abstände
waren im Zehntel Bereich. Angriffe blieben jedoch auf Grund der
Streckencharakteristik eine Seltenheit und wenn sich ihm eine Chance bot,
parierte Alonso den Angriff. Nur 0.215 Sekunden vor Michael überquerte Alonso
die Ziellinie. Es war ein entzückendes und eines der fesselnsten Duelle der
letzten 10 Jahre, dass die Zuschauer Vorort und vor den Fernsehern beobachten
konnten. „Ich bin nach so einem Rennen irgendwie happy und aufgeregt, aber
andererseits bin ich auch enttäuscht, dass ich heute Morgen beim Anbremsen auf
einer Bodenwelle mit viel Benzin die Kontrolle verloren habe", erklärte
der siebenfache Weltmeister. „Sonst wäre das ein perfekter Tag für uns
geworden. Dank der großartigen Bemühungen von allen - den Ingenieuren, dem
Testteam, Loca Badoer, Marc Gené und all den anderen, die so hart gearbeitet
haben, damit wir schneller werden - bin ich Zweiter geworden. Ein großer Dank
auch an Bridgestone. Das war heute der erste Schritt, aber da wird noch mehr kommen.
Wir selbst werden auch noch nachlegen, denn wir sind noch nicht aus dem
Rennen."
Auf die Frage, wie seine Chance auf einen weiteren Titel stehen, ließ er sich
nach dem zweiten Platz nicht zu einer überschwängliche Prognose verleiten:
„Das war sicher ein großer Schritt in die richtige Richtung, weitere werden
folgen. Ich denke nur von Rennen zu Rennen, alles andere wird man sehen."
Nach dem Rennen in Imola hagelte es seitens der anderen Teams Kritik, die
Scuderia hatte die vor der Saison beschlossenen Vereinbarungen bezüglich der
Testzeiten nicht eingehalten und sich dadurch nach Meinung einiger Fahrer und
Teamchefs einen unfairen Vorteil verschafft. Der Vorteil war dermaßen
ausschlaggebend, dass Michael in den folgenden 15 Rennen, ganze drei weitere
Podestplätze und einen Sieg im Skandal Rennen von Indianapolis – lediglich die sechs
Bridgestone bereiften Rennwagen von Ferrari, Jordan und Minardi starteten, da
der Michelin Reifen auf der Highspeed Strecke den Belastungen nicht standhalten
konnte - feiern konnte und er zur Saisonmitte seine WM-Hoffnungen begraben
musste.
Die Saison beendete Michael mit 62 Punkten auf Platz 3 hinter Kimi Raikkonen
(112 Punkte) und dem neuen Weltmeister Fernando Alonso (133 Punkte).
Für die kommende Saison gab sich Michael angriffslustig. „Ich habe überhaupt
keine Bedenken, dass ich das von meiner Seite her nicht schaffen könnte, aber
wir sind nun mal von unserem Material abhängig", erklärte er gegenüber'RTL'. „Die fünf Jahre davor bin ich deswegen alle in Grund und Bodengefahren. Die anderen waren gewillt und motiviert, die Situation zu ändern –
und das haben sie geschafft. Aber wir sind jetzt genauso gewillt und
motiviert."
By K. S. T.
Quelle: FIA Saison Review 2005.
16. Rennen der Saison '06
Der Große Preis von China auf dem Shanghai International
Circuit
1. Oktober 2006
Nachdem Michael 2005 bei der
Titelvergabe als abgeschlagener WM-Dritter nicht über eine Zuschauerrolle
hinausgekommen war, wollte er es in seinem vermeintlich letzten Rennjahr noch
einmal wissen.
Waren die ersten Rennen noch recht unbefriedigend so konnte Michael im Verlaufe
der weiteren Saison doch noch einige Glanzpunkte setzen und eine schon fast
entschiedene Weltmeisterschaft noch einmal kurz zu seinen Gunsten umdrehen. Er
gewann alle seine Heim-GP, sowohl die in Italien als auch die in Deutschland. Außerdem
siegte er noch in Indianapolis und zum achten Mal in seiner Karriere in Magny-Cours.
Bei noch drei ausstehenden WM-Läufen war die Spannungskurve des Championats
durch Michaels Sieg in Monza und dem gleichzeitigen Ausfall des Rivalen Alonsos
steil angestiegen. Nur noch zwei Pünktchen trennte das Duo. 6:6 stand es nach
Anzahl der Siege. Mathematisch hatte der Spanier die bessere Ausgangsposition.
Psychologisch hatte dessen Jäger die Nase vorn, denn wenn man einen 25-Punkte
Rückstand auf zwei Zähler verringert hatte, dann schien der letzte Schritt zur
Übernahme der Führung einfach zu sein, während der Atem des Verfolgers dem
Gehetzten langsam den Nachtschlaf zu rauben begann.
Michael hatte sein großes Ziel, den achten WM-Titel zum Abschluss der
einmaligen Karriere, seit Monza zum Greifen nahe vor Augen. Das beflügelte und stärkte die Moral.
Bereits zum dritten Mal stand das F1-Rennen im Reich der Mitte im GP-Terminkalender. Schlagfertig
reagierte Michael auf den Hinweis auf seine bisher eher dürftige China-Bilanz,
die einen 14. Platz sowie einen Ausfall aufwies: „Da sollte es mir ja
eigentlich nicht schwer fallen, mich zu steigern.“ Dann wurde er genauer: „Zwischen
Renault und Ferrari geht es denkbar knapp zu, und daran wird sich bis zum
Saisonende nichts mehr ändern. Letztlich geht es um Nuancen. Abgesehen von
technischen Defekten wird es ausschlaggebend sein, ob die Reifen am Renntag
optimal mitspielen. Das gilt für Fernando und für mich bei allen drei
ausstehenden Rennen.“ Abschließend räumte er ein, dass er froh sein würde, wenn
er China am Montag mit einem guten Ergebnis verlassen könnte. Die beiden
folgenden WM-Läufe des Restprogramms seien ihm aufgrund des Charakters der Piste deutlich lieber als das Rennen auf dem Circuit von Shanghai.
Kaum waren die ersten beiden Trainingssitzungen vorüber, da sickerte aus dem Ferrari-Lager durch, dass in
Massas Auto der Motor gewechselt werden muss. Entsprechend lang waren die
Gesichter der Roten – auf Unterstützung durch den Brasilianer würde Michael am Sonntag verzichten müssen.
In der Nacht auf Samstag regnete es sich in Shanghai und Umgebung ein. Morgens um 06:00 Uhr war es
windstill, und der Himmel präsentierte sich grau in grau, als wollten die Niederschläge
niemals aufhören. Das taten sie dann aber überraschend bereits 120 Minuten
später. Doch bei einer Luftfeuchtigkeit von satten 84 Prozent trocknete der
Asphalt bis zum dritten freien Training nicht ab. Während dieser Sitzung – die Nässe
hatte sich inzwischen derart verflüchtigt, dass die Zeiten nur circa fünf
Sekunden über den Vortageswerten lagen – probten Michael und Alonso den
Ernstfall. Die beiden Titelaspiranten sicherten sich die Plätze eins und zwei,
wobei der Ferrari-Pilot die Nase vorne hatte. Knapp zwei Zehntelsekunden
trennten die beiden.
Das Chinesische Publikum war eindeutig auf Seiten Michaels
und machte dies nicht nur durch Jubel und Applaus, sondern auch durch Transparente mit Aufschriften wie „Schumi, ich liebe dich, wirklich nur dich“, „Schumi,
danke für die 16 Jahre“ oder „Schumi wenn du wirklich gehst, dann werde ich mir
die F1 nicht länger anschauen“ deutlich. Das spiegelte die jüngste weltweite
FIA-Umfrage unter F1-Fans wieder, die Michael in der Publikumsgunst mit 28
Prozent Zustimmung ganz oben sah. Fernando Alonso belegte laut dieser Studie
hinter Kimi Raikkonen und Jenson Button mit sieben Prozent nur den vierten Rang.
40 Minuten vor Beginn des Qualifyings fing es erneut an zu regnen. Damit, das
hatte der nasse Auftakt des dritten Trainings bewiesen, hatten die
Bridgestone-Kunden schlechte Karten. Diese Theorie wurde in der Praxis
unmissverständlich untermauert.
Nur einem der Bridgestone-Fahrer gelang der Sprung in Q3, und dieser eine war „natürlich“
Michael. Damit hatte er den Hauch einer Chance auf einen halbwegs guten
Startplatz wahren können, die er mit Platz sechs hinter Alonso, Fisichella, dem
auf die Tausendstellsekunde gleich schnellen Honda-Pärchen Barrichello und Button
sowie Raikkonen tatsächlich nutzen konnte.
Nach dem Qualifying war Michael so kurz angebunden wie selten. Einsilbig und
lustlos versuchte er sich bei den Fragen aus der Affäre zu ziehen. Die
schlechte Laune war verständlich, denn nun sprach alles für einen Alonso-Sieg
und damit für eine Verschlechterung der Ausgangslage im Titel-Duell.
Bei Renault war man sich des Sieges am Sonntag schon recht sicher. Renaults Rod
Nelson funkte nach dem Qualifying an seinen Fahrer Alonso, dass der "arme
alte Michael" auf dem sechsten Platz steht, und auch in der Box des Teams ging
man neben den verbalen Worten in Richtung Ferrari und Michael voll auf das
Psychoduell los. Eine Fotomontage zeigte dort ein Motiv aus dem Piratenfilm
"Fluch der Karibik". Jack Sparrow alias Johnny Depp stand mit dem
Rücken zu Michael. Daneben stand geschrieben: "Man bringt kein Messer zu
einer Schießerei, Michael..."
Noch durfte man bei Bridgestone auf eine Verbesserung der Bedingungen hoffen, doch als es sonntags
kurz vor neun Uhr erneut zu regnen begann, stürzten – wie schon vor dem
Qualifying – die Aktien derjenigen Piloten, die mit den japanischen Gummis
unterwegs waren, in den Keller. Das Wetter schien bei der Titelvergabe ein
Wörtchen mitreden zu wollen.
Souverän zogen die beiden – nun haushoch favorisierten – Renault davon, als die
fünf roten Ampellichter erloschen. Zwar hatte es inzwischen wieder aufgehört zu
regnen und die Boliden aller Akteure standen auf Intermediates, aber die
letzten Schauer sorgten noch einmal reichlich für Nachschub. Es sollte bis in
die Schlussphasen dauern, bevor es ein Vorteil war, Trockenreifen montieren zu
lassen.
Abgesehen von einer Rangelei zwischen Kubica und Doornbos, die zwei Verlierer
hatte, verlief die erste Runde problemlos. Vorn konnte sich Alonso bereits im
Verlauf der ersten 5,4 Kilometer mit 2,6 Sekunden von Fisichella absetzen. Und
als der Spanier nach nur zehn Runden 11,5 Sekunden vor seinem italienischen
Teamkollegen lag, berechtigte dieser beachtliche Vorsprung zu der Überlegung,
Fisico fahre nicht voll, um Alonso den Rücken frei zu halten. Auf Rang drei
folgte Raikkonen ungeduldig drängelnd. Dahinter klaffte je eine
Fünf-Sekunden-Lücke zu Button und zu Michael, der – vorbei an Barrichello –
immerhin schon einen Platz gutgemacht hatte. Nützen, so schien es, würde ihm
das nicht viel, denn auf Alonso fehlten ihm inzwischen über 22 Sekunden…
Runde 13 brachte auf den vorderen Rängen gleich zwei Platzverschiebungen:
Raikkonen überholte Fisichella, und Michael konnte sich nach Barrichello nun
auch den zweiten Honda schnappen. Alonso, Raikkonen, Fisichella, Michael,
Button und Barrichello – dahinter komplementierten de la Rosa und Heidfeld die
Punkteränge. Michaels Rückstand auf den spanischen Spitzenreiter war inzwischen
auf 25 Sekunden angewachsen. Die Weichen für dessen ersten F1-Sieg seit dem
Kanada GP schienen gestellt.
Das Bild änderte sich erneut, als sich der finnische Silberpfeil-Pilot mit
grausam tönendem Achtzylinder verabschiedete – Gaspedal und Motor harmonierten
nicht mehr im Sinne des Konstruktionsplans.
Michael hatte unmittelbar zuvor getankt, die angefahrenen Bridgestones bei
dieser Gelegenheit allerdings nicht wechseln lassen, als Alonso zum Ende des
22. Umlaufs ebenfalls Service machen ließ. Weil er sich Sorgen um den linken
Vorderreifen machte, ließ er sich vorn zwei neue Pneus montieren. Mit dieser
Entscheidung – das zeigte die nächste Phase des Rennens – lag der
Titelverteidiger voll daneben. Der so unterschiedlich bereifte R26 war kaum
fahrbar. Immer näher kamen Fisichella, der beim ersten Stopp wie Michael dem
ersten Reifensatz treu geblieben war, und der Ferrari-Star. Direkt
hintereinander herfahrend machten sie Jagd auf Alonso. In der 30. Runde zog
Fisico in Front, und einen Umlauf später konnte sich Alonso auch nicht mehr
erfolgreich gegen Michael wehren. Gerade einmal 1,4 Sekunden trennten das neue
blau-rote Führungs-Duo, das Fernando Alonso nun ohnmächtig ziehen lassen
musste.
Die zweiten Stopps sollten über Sieg und Niederlage entscheiden. Inzwischen
konnte man ernsthaft über den Einsatz von Trockenreifen nachdenken, und Alonso
setzte diese Überlegung nach 35 Umläufen in die Tat um. Weil sich der rechte
Hinterreifen nicht montieren lassen wollte, dauerte der Stopp 19,2 Sekunden.
Und als sei dieser Zeitverlust nicht schlimm genug, stellte sich schnell heraus,
dass es immer noch zu früh für Trockenreifen war. Alonso verlor weitere
Sekunden.
So fiel die Entscheidung ohne den Spanier. Nach 40 Runden ließ Michael seinen
Ferrari auf Trockenreifen stellen. Einen Umlauf später tat es ihm der
Spitzenreiter Fisichella gleich. Aber der Italiener hatte sich, wie alle
Michelin-Fahrer, für harte Gummis entscheiden müssen, und die benötigten einige
Runden, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Knapp vor Michael kam der Renault
zurück auf die Piste. Da witterte Michael seine Chance. Als würde er sich
denken „Jetzt oder nie!“ stach er auf der Innenbahn mit den Beiden rechten
Rädern im Abseits in Front und war damit auf die Siegerstraße eingebogen.
Die Freude bei Michael über diesen Sieg war riesengroß. Erstmals in dieser
Saison hatte er die WM-Führung erobert, da er zwar nun mit Alonso, der von
Fisichella noch vorbei gelassen wurde, Punktgleich war, jedoch einen Sieg mehr
vorzuweisen hatte. „Diesen Erfolg werte ich als Überraschung. Beim Start dachte
ich daran, dass es heute um nichts anderes als Schadensbegrenzung geht.“ Dann geriet er ins
schwärmen: „Oh Mann, war das ein Wochenende. Freitags lief es ganz gut. Dann der
Absturz – im Qualifying verpasste ich beinahe den Sprung in die Top-Ten. Mit
Ach und Krach wurde ich Sechster und schaffte damit rückblickend die Voraussetzungen
für den Sieg. Mit entscheidend war natürlich die Reifenstrategie, die ein wenig
Glückspiel-Charakter hatte. Doch wir machten alles richtig – zunächst die
Entscheidung, den ersten Reifensatz nicht zu wechseln, und dann holte ich zum
idealen Zeitpunkt Trockenreifen.“ Während Michael einige der glücklichsten
Minuten seiner Karriere genoss, hatte Alonso verständliche Schwierigkeiten das harte Brot der Niederlage zu kauen.
Das nächste Rennen, in Suzuka, brachte aber dann die Vorentscheidung im WM-Duell. Der Motor von
Michaels 248 F1 ging in der 37. Runde hoch. Damit verlor er nicht nur den
sicher geglaubten Sieg, sondern wohl auch den achten Titel. „Ich habe heute
mein Bestes gegeben und lag in Führung, als der Motor hochging. Damit habe ich
keine Chance mehr, den Fahrertitel zu holen. Ich möchte jedenfalls nicht in der
Hoffnung nach Brasilien reisen, dass dort mein Rivale ausfällt. Auf diese Weise
möchte ich nicht Champion werden.“
Quellen: FIA Saison Review 2006. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.
18. Rennen der Saison '06
Der Große Preis von Brasilien auf dem Autódromo José Carlos Pace in Interlagos
22. Oktober 2006
Der zum damaligen Zeitpunkt
wohl letzte Grand Prix im Leben von Michael schien schon Vorbereitung auf die
Zeit zu sein, in der Zeit zur Nebensache werden sollte. Denn er stand total im
Zeichen des Abschieds. „Niemand redet mehr vom Sport“, bemerkte Michaels
Manager Willi Weber treffend. Michael wollte es (vielleicht nicht ganz) so. Er
hatte nach seinem Ausfall in Japan den Fahrer-Titel abgehakt. Und damit den
Sport etwas in den Hintergrund gestellt. Er hatte sich den Druck vorab weggebremst.
Klar er wollte mit einem Sieg und dem Konstrukteurstitel für Ferrari gehen.
Seine Vorbereitung mit 221 Testrunden mit Streckenrekord in Jerez war ein
sicherer Hinweis. Aber zuletzt wirkte er durchweg heiter, ja gelöst: „Befreit“,
hatte er sogar gesagt. Denn auch der Rahmen für seinen 250. GP war ganz und gar
nicht Schumi-typisch organisiert: Mit einer Abschiedsrede an die deutsche
Presse; mit einem Helm - extra designt für diesen GP, mit einem Tross von 15
geladenen Freunden - der drei Tage lang an und in den Boxen (sogar während des
Trainings) auftrat, der bangte, hoffte, lachte mit Corinna, mit Vater Rolf,
mit seinem Ex-Physiotherapeuten Balbir Singh; mit Geschenken – die Michael an
seine Mechaniker verteilte und die er selber bekam; mit einer offenbar anderen
Arbeitsmoral - niemals zuvor hat man Michael schon samstags bereits um 17 Uhr
ins Hotel abhauen sehen. Gut es gab Gründe. Jeden Abend kleine und größere Abschiedsfeiern
natürlich. Von Ferraris Software-Partner AMD, von Hauptsponsor Philip Morris,
von Mineralölpartner Shell. Er besuchte sogar Teamkollege und Freund Felipe
Massa privat, ein gutes Stück außerhalb von Sao
Paulo.
Lenkte ihn der Rummel nicht ab? „Nein, ich bin Profi. Wenn ich im Auto sitze,
bestehe ich nur noch aus Konzentration. Abgesehen davon ist es doch angenehm,
Freunde um sich zu haben. Und das fahren macht mir so viel Spaß wie eh und je.“
Tatsächlich war er keinen Hauch langsamer als sonst. Aber definitiv
entspannter. Wann hatte man damals je einen Michael gesehen, der bei einem
offiziellen Termin die DVAG-Kappe abgenommen hätte? Der samstags zur
Hauptarbeitszeit mit seiner Frau Backgammon spielt? Der fast jeden Foto- und
Autogrammwunsch erfüllt und vor positiver Energie sprühte? „Und das, obwohl ich
in noch mehr Kamera-Objektive gucke als sonst immer.“
Zwischendurch leistete er sich sogar schon mal einen langen Blick zurück: „Ich
war nicht immer glücklich in allen Situationen, habe aber einen Rhythmus gefunden.
Was ich vermissen werde, sind die vielen Momente, die ich in 16 Jahren Formel 1
hatte. Vor allem die Fans, die mich immer unterstützt haben und mir geholfen
haben Leistung zu bringen. Vor allem in Momenten, in denen es nicht so lief.
Dafür kann ich nur ein riesiges Dankeschön sagen, auch wenn ich denen damit bei
weitem nicht gerecht werde. Jetzt habe ich die Kraft nicht mehr. Es ist nicht
nur das Fahren. Die Termine, der mentale Druck, die physischen Anstrengungen,
das Testen, das alles erfordert ein Maximum an Motivation, um auf Top-Niveau zu
agieren.“
Was die sportliche Seite des
Wochenendes anging griffen Michael und Alonso erst im Verlauf der zweiten 60
Trainingsminuten in das Geschehen ein und begnügten sich zunächst mit den
Rängen sechs und zehn. Michael bedankte sich anschließend ausdrücklich bei BMW,
weil das Team mit der Heckflügelaufschrift „Danke Michael“ unterwegs war, dann
erklärte er: „Natürlich bin ich mir voll bewusst, dass dies mein letzter F1
Freitag ist, aber wenn ich im Auto sitze und das Helmvisier runterklappe, dann
fühlt sich alles unverändert an. Im Cockpit ist man sosehr auf die Arbeit
konzentriert, dass Gedanken dieser Art gar nicht erst aufkommen.“
Am Vormittag des zweiten Trainingstages wurde deutlich, dass die beiden
Ferrari-Piloten eine Klasse für sich darstellten. Überlegen führte das Duo die
Rangliste des dritten Trainings an. Der für Michael so wichtige Sieg rückte
damit in greifbare Nähe.
Bei Asphalt Temperaturen von 36°C nahm das Qualifying zunächst einen unauffälligen
Verlauf: Je zwei Spyker und Super Aguri sowie DC und Speed wurden in Q1
aussortiert. Der zweite Durchgang forderte mit Jenson Button, der seinen Honda
morgens noch auf Platz drei stellte, ein unerwartetes prominentes Opfer. Den Briten
traf jedoch keinerlei Schuld, denn sein RA106 war aufgrund eines
Elektronik-Problems, das die Traktionskontrolle lahmlegte, nicht konkurrenzfähig.
Auch Nico Rosberg war „out“.
Doch kaum nahmen die Boliden Q3 in Angriff, da hatten die verantwortlichen der
Ferrari-Crew Schweißperlen auf der Stirn: Michael bewegte sich in
Schleichfahrt, und an der Box wusste man, weshalb – der Benzindruck war nahezu
komplett zusammengebrochen… So wurde Michaels Out-Lap zur In-Lap und der 248 F1
verschwand in den Boxen, die er bis zum Ende der Sitzung nicht mehr verlassen
sollte.
Ohne dass der scheidende Ex-Champ noch eingreifen konnte, sicherten sich Massa,
Raikkonen, Trulli und Alonso die beiden ersten Startreihen. Der Pechvogel war ebenso
enttäuscht wie gefasst, als er sagte: „Solche Dinge passieren halt. Ich werde
natürlich trotzdem versuchen, das Beste aus der Situation zu machen und morgen
von der ersten bis zur letzten Runde zu fighten.“
Im Lager der Roten ließen die Mitarbeiter die Köpfe hängen. Zum zweiten Mal
innerhalb von nur zwei Wochen hatte die Technik Michael im Stich gelassen.
Immer wieder erkundigten sich Mechaniker seiner Crew im engsten Umfeld: Ist
Michele sauer auf uns? Sie wurden beruhigt. Michael, der um 17 Uhr mit ernster
Miene in Richtung Hotel aufbrach, war keineswegs wütend.
Am Morgen des Renntages
wartete der „Sperrriegel“ der Fotografen am Eingang des Fahrerlagers bis 10:15
Uhr auf Michael. Nach dem Passieren eines der Drehkreuze ging er mit hastigen
Schritten hinüber zu den Ferrari-Boxen. Sein vermeintlich letzter F1-Arbeitstag
als Fahrer hatte begonnen. Fernando Alonso war bereits 20 Minuten eher
eingetroffen.
Fünfzehn Minuten vor dem Start ging, einen großen Pokal in Händen, Edson
Arantes do Nascimento ins Startfeld. Der unter seinem „Ballkünstlernamen“ Pele
bekannte Ex-Kicker überreichte die Trophäe Michael für dessen Lebenswerk. Zur
selben Zeit schlenderte Kimi Raikkonen zu seinem Auto. Martin Brundle, einst Michaels
Teamkollege bei Benetton und nun als ITV-Reporter unterwegs, gesellte sich zum
Finnen und sagte vor laufenden Kameras: „Kimi du hast die Präsentation von Pele
verpasst.“ Der McLaren-Fahrer erklärte seine Abwesenheit ohne die geringste
Rücksicht auf das live zuschauende englische Fernsehpublikum: „Ich war auf dem
Klo.“ In Wirklichkeit hatte er es noch viel drastischer formuliert.
Während die Spitze das Feld nach dem Start in der Reihenfolge Massa vor
Raikkonen, Trulli und Alonso anführte, machten Michael und Button im Verlauf
der ersten Runde je vier Plätze gut. Aber es tat sich noch weit mehr, als die
ersten Wiedergutmachungsversuche der beiden Samstagspechvögel: In der Bremszone
vor Turn 4 rauschte Nico Rosberg seinem australischen Teamkollegen ins Heck.
Webber musste anschließend an den Boxen aufgeben, die Rosberg gar nicht erst
erreicht – ohne Frontflügel mutete er seinem FW28 ein zu hohes Tempo zu und
knallte deshalb in Turn 14 in die Planken. Die Spitze war in Runde zwei, als
Charlie Whiting das Safety-Car auf die Bahn schickte, um aufräumen lassen zu
können.
Mit Beginn des siebten Umlaufs wurde das Tempo nicht mehr diktiert. Sofort
setzte Michael, der Barrichello unmittelbar vor der SC-Phase überholt hatte,
Fisichella unter Druck und schnappte sich den Italiener zu Beginn der neunten
Runde. Bei dem Überholmanöver, das der Angreifer im „Senna S“ auf der Außenbahn
fuhr, ging es um Millimeter. Als Michael zurück auf die Ideallinie lenkte, kam
es zu einer Berührung zwischen dem Renault-Frontflügel und dem linken
Hinterreifen des Ferraris. Der Pneu wurde beschädigt – Luft trat aus, und fast
eine komplette Runde trennte Michael von den Boxen…
Als er die Box wieder verlassen konnte fand er sich auf dem 19. und damit
letzten Platz wieder. Doch wie hatte er am Vortag gesagt? Er werde bis zur
letzten Runde fighten! Und genau das tat er nun.
Während sich Michael zunächst daranmachte, die 35-Sekunden-Lücke zu Monteiro
zuzufahren, folgte der nächste Doppelausfall. Im Abstand von nur einer Runde
strichen beide Toyota die Segel, weil ihre Autos unfahrbar waren – die hinteren
Radaufhängungen machten schlapp.
Am Ende der 35 Runde war Michael schon auf Position 8 vorgerückt und hatte
gerade Nick Heidfeld überholt. Nächster Gegner war Kubica. Aber auch der konnte
Michaels Aufholjagd nicht stoppen. Zwei schnellste Runden nacheinander reichten
und Michael war vorbei. Allerdings nur kurz… denn bei seiner aggressiven
Aufholjagt leistete er sich einen kleinen Fahrfehler und Kubica nutzte seine
Chance um wieder vorbei zu gehen. Zwei Runden später allerdings war der Fall
Kubica für Michael erledigt und der nächste auf seiner Liste hieß Barrichello. Erst einmal stand aber 24 Runden vor Schluss der letzte Boxenstopp für ihn bei
seinen Ferrari-Jungs an. Zwei Runden später, mit nun vollem Tank, fuhr Michael die
nächste schnellste Rennrunde und entledigte sich noch am Ende der selben seinem
ehemaligen Teamkollegen Barrichello, der ihn kampflos überholen ließ. Von Michael gab’s
deshalb ein „Dankeschön“-Handzeichen. Zehn
Runden später gab es eine Neuauflage des Duells Fisichella gegen Michael. Doch
diesmal mit dem besseren Ende für den Ferrari-Piloten.
Tatsächlich fuhr Michael noch bis auf den vierten Platz vor und beeindruckte
dabei speziell durch sein spektakuläres Überholmanöver gegen Kimi Raikkonen.
Gut 90 Minuten nach dem Start gehörte das letzte Rennen der Saison 2006 der
Geschichte an. Felipe Massa hatte als erster Brasilianer seit Ayrton Senna im
Jahre 1993 einen Heim-GP gewonnen. Doch nach dem Rennen dominierten die Gefühle
der neue Weltmeister Alonso und der Abschied vom alten. Ein GP, bei dem Michael
eigentlich keine Chance mehr hatte, seiner Karriere weitere Bestmarken hinzuzufügen. Aber sie trotzdem für einen
einzigartigen Abgang aus der Königsklasse des Motorsports nutzte. Seine furiose
Fahrt von Rang 19 auf vier in seinem 250. Formel 1 Rennen offenbarte noch
einmal alle Attribute, die Michael seit seinem Debüt 1991 dauerhaft an die Spitze
schießen ließen: Leidenschaft, Kampfgeist, unbeugsamer Wille, Talent im Übermaß
und extreme Cleverness. Er hatte im 2006er Finale weder einen weiteren Titel
gewonnen noch einen Sieg erobert. Nicht mal einen Podestplatz. Dennoch inszenierte
er seine Abschiedsvorstellung als Demonstration seines ganzen Könnens. Als schnellster
Mann im Feld stahl Michael Alonso die Show und überstrahlte Sieger Massa. Er
überholte seinen Nachfolger bei Ferrari Kimi Raikkonen mit einer Härte,
Raffinesse und Entschlossenheit, die den Finnen und Ferrari entgeistert
zurückließen. Mit Platz vier war er der wahre Sieger des Tages.
„Zunächst
möchte ich Felipe zu seinem Sieg und Fernando zu seinem Titelgewinn
gratulieren. Mein eigenes Rennen wurde heute leider durch den Reifenschaden
beeinflusst. Immerhin konnte ich anschließend Boden gutmachen. Jetzt heißt es Abschied
nehmen. Es gibt so viel, was ich über meine Freunde bei Ferrari sagen könnte,
aber leider ist es schwierig, die richtigen Wort zu finden…“ Inoffiziell fügte
er hinzu, dass er dieses Rennen so gerne gewonnen hätte und dass es ihm ohne
den Reifenschaden trotz des Quali-Pechs locker gelungen wäre: „Mein Auto flog
heute geradezu – ich hätte vermutlich alle überrunden können.“ Und keiner der
Millionen Fans, die vor den Bildschirmen saßen, hätte ihm widersprochen. Der Vorhang
war gefallen, eine einzigartige Karriere beendet. So sollte es sein, so war‘s
geplant. Doch erstens kam es anders und zweitens als man dachte.
Drei Jahre Pause hatte er
sich gegönnt, seine Batterien wieder aufgeladen. Doch die Flamme in seinem
inneren, die Liebe zur Formel 1, war nie erloschen. 2009 hatte sie neue Nahrung
erhalten. Das Weihnachtsmärchen wurde wahr und seine Fans hatten ihren Michael als Formel
1 Rennfahrer zurück. Nicht in einem Ferrari aber immerhin bei einer anderen
Traditionsmarke: Mercedes.
Ein Traum, irgendwann einmal mit Mercedes in der
Formel 1 zu fahren wurde für Michael war.
Quellen: FIA Saison Review 2006. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Autobild „Michael Schumacher-Spezial 2006", 2006.
7. Rennen der Saison '11
Der Große Preis von Kanada auf dem Circuit Gilles Villeneuve
12. Juni 2011
Fast eineinhalb Jahre fuhr
Michael nun schon wieder in der Formel 1. Sein Comeback war bis dahin sicher
nicht optimal gelaufen. Man hatte sich mehr erhofft, mehr erwartet. Auch
Michael hatte nicht ahnen können, dass der Weg nach seinem Comeback doch so
steinig werden würde.
Zum siebten Lauf der Saison
2011 in Kanada, reiste man bei Mercedes deshalb auch mit wenig Zuversicht. Da die
letzten beiden Rennen in einer Niederlage geendet hatten: In Barcelona lagen
Michael und Nico Rosberg am Ende eine Runde zurück und in Monaco schaffte man
es nicht einmal in die Punkteränge. „Uns steht ein schwieriges Rennwochenende
bevor, wenn man sieht, wo wir in Barcelona und Monaco waren", gab sich
Michael pessimistisch. Was daran lag, dass der Reifenverschleiß auf dem Circuit
Gilles Villeneuve wieder eine große Rolle spielen sollte. Genau in diesem
Bereich befand sich die hartnäckige Problemzone von Mercedes.
Für Michael begann das
Rennwochenende - neben den üblichen Interviews - mit einer besonderen Streckenbegehung.
Zusammen mit seinem alten Rivalen David Coulthard fuhr er in einem Golf Cart um
den Kurs und erklärte für die BBC Zuschauer die Strecke. Das ganze fand bei
einer erstaunlich lockeren und gelösten Stimmung statt. Die Begegnungen der
beiden waren auf der Strecke ja nicht immer ganz harmonisch verlaufen. Michael
scherzte viel, gab aber nur ungern das Steuer des Golf Carts aus den Händen.
Montreal war schon immer für
ein bisschen Action gut, aber diesmal mussten die kanadischen Fans dafür nicht
einmal auf den Rennsonntag warten: Bereits während des Freitagstraining gab es
insgesamt drei rote Flaggen, zwei davon in der zweiten Session am Nachmittag.
Im zweiten Training krachte zuerst Adrian Sutil in Kurve sieben in die Mauer,
doch diesen Zwischenfall konnten die Streckenposten noch mit gelben Flaggen
lösen. Als dann aber in Kurve vier unmittelbar hintereinander Kamui Kobayashi
und Jerome D'Ambrosio in die Mauer krachten, musste zweimal unterbrochen
werden. So wurde die letzte halbe Stunde des Trainings praktisch halbiert, was
die Programme der Teams durcheinanderbrachte und dazu führte, dass bis auf
Alonso fast alle auf ihren sonst üblichen Qualifying-Testrun mit den weicheren
Reifen verzichteten, um stattdessen lieber die Haltbarkeit der Pneus zu testen.
„Wir sind im Renntrimm gefahren und sind sehr zufrieden mit dem, was wir am
Nachmittag gezeigt haben", zeigt sich Sportchef Norbert Haug
unbesorgt." Die Zeit von Nico am Vormittag zeigt ja, dass die
Nachmittagszeiten keineswegs außer Reichweite sind. Wir wissen, wie viel Sprit
wir im Tank hatten." In der Tat: Im Freitags-Gesamtklassement fiel Nico
Rosberg lediglich vom ersten auf den dritten Platz zurück; Michael wurde
Gesamtelfter.
Am Samstag erlebte Michael
ein solides Qualifying. Mit 0,850 Sekunden Rückstand belegte er den achten
Rang. Doch nach dem Zeitenfahren, bei dem er nur einen Wimpernschlag langsamer
war als Teamkollege Rosberg, tauchten beim Rekordsieger Sorgenfalten auf. „Es
ist okay, aber es war für uns keine optimale Situation", so der
Mercedes-Pilot. „Ab Kurve vier war leider die Durchzugskraft etwas verringert.
Warum, das muss ich jetzt herausfinden. Ich hoffe, dass es nichts Ernstes ist.
Insofern war es okay." Blieb zu hoffen, dass das Problem sich nichtnegativ auf das Rennen auswirken würde: „Ich hoffe es nicht, ja."
Mercedes schien die Rennstrecke von Montreal besser zu liegen als gedacht, denn
man war näher an der Konkurrenz dran, insbesondere an jener von
McLaren-Mercedes: „Es gibt weniger Kurven, es geht mehr geradeaus. Das alleine
kann dir schon einmal helfen. Stop-and-Go scheint dem Auto etwas mehr
entgegenzukommen. Ich denke, dass auch die kühlen Bedingungen mit
ausschlaggebend dafür sind", erklärte Michael.
Allerdings hatte McLaren wohl auf ein Regensetup gesetzt, was Michael verwunderte: „Ich weiß jetzt nicht, welche Annahme es gibt, dass McLarenein Regensetup hat. Ich glaube nicht, dass jemand so optimistisch ist, denn die
Vorhersage auf Regen ist zwar zu einem geringen Prozentsatz vorhanden, aber ich
glaube zu gering, um sich schon jetzt auf Regen festzulegen."
Bei Mercedes hatte man zwar nicht auf ein Regen Setup hingearbeitet, doch auf
Grund der generellen Voraussetzungen ging das Setup etwas mehr Richtung Regen.
„Wir waren auch nicht verlockt, die Flügel flacher zu stellen, weil es so
aussieht, als würde es ein wechselhaftes Wochenende werden. Es ist eine
interessante Strecke, denn manchmal bringt es nicht unbedingt Rundenzeit, die
Flügel flacher zu stellen. Es hat ja nicht nur lange Geraden hier, sondern auch
Brems- und Beschleunigungszonen. Wir haben die Flügel unverändert gelassen,
wodurch wir nicht die Allerschnellsten sind", so Ross Brawn. Aber: „Sollte
es regnen, wären wir in keiner schlechten Ausgangsposition", war Brawn
überzeugt.
Tatsächlich regnete es am
Sonntag schon vor dem Rennen. Die verantwortliche Rennleitung sah sich wegen
der feuchten Piste sogar dazu gezwungen das Rennen hinter dem Safety-Car zu
starten, obwohl es längst wieder aufgehört hatte zu regnen. Alle Autos mussten
somit auf Regenreifen starten.
Am Ende der vierten Runde wurde das Rennen endlich freigegeben. An der Spitze
konnte Vettel seine Position gegenüber Alonso und Massa verteidigen, dahinter
ging es jedoch direkt heiß her. Mark Webber wurde durch einen missglückten
Überholversuch von Hamilton in einen Dreher geschickt. Auch Hamilton kam dabei
von der Ideallinie ab. Rosberg, Button und Michael konnten an Hamilton vorbei
gehen. Webber verlor sogar noch mehr Plätze und reite sich erst auf Platz 14
wieder ein.
Ein paar Kurven später geriet Button auf der nassen Piste ins Straucheln.
Michael ließ sich nicht lange bitten, nutzt seine Chance und ging vorbei.
Ebenso Hamilton. Drei Runden lang verteidigte der Mercedes-Pilot erfolgreich seinen
fünften Rang gegen die drängelnden McLaren. Bis er am Ende von Runde sieben
erst einmal aufatmen konnte, da sich Hamilton und Button in die Quere kamen. Hamilton landete in der
Boxenmauer und musste sein Rennen beenden. Button hingegen konnte weiterfahren.
Das Safety-car begab sich wieder auf die Strecke und neutralisierte das Feld
für vier Runden.
Keine Sekunde zögerte Michael nachdem das Safety-car abgebogen war mit dem
ersten Angriff auf seinen Teamkollegen Rosberg und hielt danach den Druck
aufrecht - bekam jedoch keine Chance zum überholen. Mit dem 16. Umlauf startete
die erste Boxenstopprunde. Michael kam zwei Runden später zum Service, ließ
sich Intermediates aufziehen und fiel auf Position 11 zurück. Im Nachhinein
betrachtet genau zum falschen Zeitpunkt. Denn in der anschließenden Runde fing
es wieder an zu regnen.
Der erneute Regen veranlasste die Rennleitung dazu das Safety-Car wieder auf
die Strecke zu schicken. All jene die zuvor auf Intermediates gewechselt hatten
mussten nun wieder umrüsten, der Rest nutzte die Chance und kam zum ersten
Reifenwechsel in die Box. Michael verlor durch seinen erneuten Stopp einen
weiteren Platz.
Inzwischen regnete es immer stärker an einigen Stellen der Strecke. In Runde 25
gewann der Regen den Kampf gegen die Boliden und die Rote Flagge wurde geschwenkt,
Rennunterbrechung!
Das Warten auf besseres
Wetter begann. Es wurde ein langes Warten…
Michael vertrieb sich seine
Zeit in der Mercedesbox und unterhielt sich unteranderem auch mit dem
US-amerikanischen Rallyefahrer Ken Block. Das schlechte Wetter und das Warten auf
Besserung schien ihn nicht zu beeindrucken - während andere Fahrer anfangs noch
in ihren Autos ausharten. Doch auch ihnen wurde das Warten irgendwann zu lang.
Eine Stunde später… Michael hatte inzwischen seinen Standort gewechselt und
sich an den Mercedes-Kommandostand bewegt. Der Regen hatte nachgelassen, doch
die Kehrmaschinen kämpften noch immer gegen das Wasser auf der Strecke an.
Erst eine weitere Stunde später wurde der Rennbetrieb wieder aufgenommen. Das
Safety-car führte das Feld erneut hinter
sich her, bis am Ende von Runde 34 das Rennen wieder freigegeben werden konnte.
Michael kam sofort an die Box um auf Intermediates zu wechseln und sortierte
sich auf Platz 17 wieder ein. Bedingt durch die Boxenstopps der anderen und
durch die Überholmanöver gegen D’Ambrosio, Alguersuari, Karthikeyan und Petrow
hatte er sich 3 Umläufe später Platz acht erobert. Michael pflügte durchs Feld
wie in glorreichen alten Zeiten, in der Box drückte seine Frau Corinna
begeistert die Daumen und fieberte mit. In Runde 37 musste das Safety-Car
jedoch erneut auf die Strecke, da nach einem Zwischenfall, in den Alonso und
Button verwickelt waren, der Ferrari des Doppelweltmeisters von der Strecke
geborgen werden musste.
Ab Rund 41 durfte man wieder Vollgas geben und Michaels Aufholjagd ging weiter.
Eine Runde später hatte er einen Fahrfehler Webbers zum überholen genutzt. Di
Resta hingegen räumte das Feld kampflos, da dieser seinen Frontflügel am
Boliden von Heidfeld beschädigt hatte. Nebenbei musste Michael nun immer wieder
seine Position gegen Mark Webber verteidigen.
Am Ende des 46. Umlaufes konnte Michael den Lotus-Renault-Piloten Nick Heidfeld
überholt. Besonders schwer fiel ihm das nicht, da er erstmals an diesem Sonntag
die DRS-Überholhilfe benutzen durfte. Bei der Gelegenheit fuhr er auch gleich
die bis dato schnellste Runde des Rennens. Der Vorwärtsmarsch von Michael
sollte auf Platz vier jedoch noch nicht beendet sein. In Umlauf 51 konnte
Michael beobachten wie sich Kobayashi und Massa das Leben gegenseitig schwer
machten und nutzt diese Chance eiskalt aus indem er an beiden gleichzeitig
vorbei ging. Er lag nun auf Platz zwei und es waren nur noch 18 Runden zu
fahren.
Nach der letzten Boxenstopp Serie lag Michael immer noch auf Platz zwei. Doch
die Strecke trocknete immer weiter ab und Michael stand weiter unter Druck von
Mark Webber.
Als wär das Safety-Car nicht schon oft genug draußen gewesen rückte es in Runde
57 erneut aus. Diesmal hatte sich Heidfeld spektakulär aus dem Rennen befördert
nachdem er sich an Kobayashis Auto seinen Frontflügel beschädigt hatte.
Nun lag Michael, bedingt durch das Safety-car, in Schlagdistanz zum immer noch
führenden Vettel. Als das Rennen am Ende der 60. Runde wieder frei gegeben
wurde ließ es sich Michael natürlich nicht nehmen seinen Langzeit-Kumpel
anzugreifen. Erfolg hatte er dabei zwar nicht, aber einen Versuch war‘s wert
gewesen. Da Vettel das schnellere Auto hatte verlor Michael danach jedoch schnell
wieder den Anschluss.
Platz zwei galt es nun zu verteidigen. Schnell wurde aber deutlich, dass
Michael es schwer haben würde seine Position zu halten. Hinter ihm drängelten
Webber und Button, die eindeutig unter trockenen Bedingungen die schnelleren
Autos hatten. Trotzdem gelang es Michael vorerst beide hinter sich zu halten,
bis die Rennleitung sich entschloss das DRS wieder frei zu geben. Nun war er chancenlos.
Sowohl Button als auch Webber, die zwischenzeitlich die Positionen getauscht
hatten, konnten ihn überholen. "Scheiße, vorbei", rief Corinna
spontan.
Der Traum vom ersten Podium
seit Michaels Comeback war ausgeträumt. Als vierter konnte er trotzdem auf ein
Rennen zurück blicken in dem er seinem Ruf als Regenspezialist absolut gerecht
wurde. „Nach diesem Rennen habe ich ein lachendes und ein weinendes Auge. Ich
bin mir aber nicht sicher, ob ich darüber glücklich oder enttäuscht sein
sollte", so Michael. „Natürlich wäre ich gerne Zweiter geworden und auf
das Podium gefahren, aber obwohl das letztlich nicht gelungen ist, können wir
mit dem Ergebnis und unserer Leistung zufrieden sein. Wir haben den ersten Teil
des Rennens glaube ich nicht besonders clever gestaltet. Dafür haben wir es
dann im zweiten Teil besser gemacht. Natürlich war ich ein bisschen überrascht,
als ich plötzlich Zweiter war. Das war dank der cleveren Strategie möglich, die
wir zusammen ausgearbeitet haben. Natürlich haben auch die Umstände für uns
gearbeitet. Die Bedingungen waren für mich perfekt. Unter solchen Bedingungen kann man den Unterschied
einfach immer noch klar und deutlich darstellen. Das habe ich heute umsetzen
können. Das hat mir natürlich Spaß gemacht. Weniger Spaß macht es natürlich,
wenn man so kurz vor dem Podium steht und es einem dann wieder Weg geschnappt
wird. Aber das ist nun einmal Rennsport. Auf der anderen Seite denke ich,
dürfen wir mit diesem Rennen heute glücklich sein. Wir haben viel Action
gezeigt und sind gut dabei gewesen. Nach den vergangenen Rennen, die nicht ganz
so gut gelaufen sind, war das diesmal wieder ein Highlight."
Am Ende also Platz vier, wie
im Jahr zuvor auch schon dreimal. Wieder knapp am Podium vorbei. Corinna hatte
dennoch nur eine Bezeichnung für das beste Rennen seit dem Comeback ihres
Mannes: „Mega!“ Michaels Leistung war auch ein wichtiges Zeichen im richtigen
Moment in Richtung seiner Kritiker, die ihn teilweise schon abgeschrieben
hatten.
Im Verlauf der Saison konnte
Michael noch weitere Highlights setzen. In Spa fuhr er - nachdem er in der
Qualifikation ein Rad verloren hatte - von Platz 24 auf 5 und in Monza lieferte
er sich einen heißen Kampf mit Lewis Hamilton, hielt sich lange auf Platz 3 und
wurde am Ende noch fünfter. Ein Aufwärtstrend war klar zu erkennen. Michael kam immer besser in Fahrt, was die
Freude auf die Saison 2012 immer weiter steigerte.
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